Nach wie vor werden psychisch Erkrankte von der Gesellschaft stigmatisiert und Hilfsangebote als Irrenhäuser abgestempelt. Dabei ist es wichtig, sich Hilfe zu holen.
Ein Artikel von Inken Hübner und Johanna Kaiser
Rund 17,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer psychischen Erkrankung. Doch nur jede fünfte Person sucht sich Hilfe und das, obwohl es in Deutschland fast 700 psychiatrische Kliniken gibt. Am häufigsten erkranken Menschen in Deutschland an Angststörungen, affektiven Störungen und Beeinträchtigungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum.
Denn auch man sein Leben oberflächlich noch so gut unter Kontrolle hat, hat der Körper manchmal unterbewusst mit inneren Konflikten zu kämpfen. Dabei können Stress und erhöhte Belastungen im Alltag Auslöser sein, die zu einer veränderten Gefühls- oder Selbstwahrnehmung führen. Die Psyche ist krank und wie bei einer Grippe braucht es Zeit und Unterstützung, um wieder gesund zu werden.
Vielfältige Unterstützungsangebote
Wenn man sich dazu entschließt, Hilfe zu suchen, sollte man darauf achten, an wen man sich wendet. Psychiater*innen haben Medizin studiert und anschließend eine Fachausbildung in der Psychiatrie und Psychotherapie gemacht. Deshalb dürfen sie ihren Patient*innen auch – wenn nötig – Medikamente verschreiben. Anders sieht es bei Psycholog*innen aus, die Psychologie studiert haben und danach ebenfalls eine Zusatzausbildung im Bereich Psychotherapien durchlaufen, aber keine Medikamente verschreiben dürfen. Beide Gruppen arbeiten mit therapeutischen Gesprächen und kognitiven Methode, oftmals greifen die Therapiemöglichkeiten Hand in Hand: Eine*r übernimmt die gesprächliche Behandlung, der*die andere die medikamentöse.
Erste Anlaufstelle für Hilfesuchende sollte dabei stets die Praxis des*der Hausärzt*in sein, welche für eine Überweisung in psychologische oder psychiatrische Betreuung bzw. eine Einweisung in eine geeignete Fachklinik sorgt. In einem akuten Notfall kann man sich auch an den Not- oder Rettungsdienst eines Krankenhauses wenden. Außerdem gibt es allgemeine Beratungsstellen, das Sorgentelefon und in jedem Bezirk den Sozialpsychiatrischen Dienst (SPD oder SPDi), an den sich nicht nur Betroffene, sondern auch Freund*innen, Angehörige oder Kolleg*innen wenden können.
Nach der Einweisung heißt es meist warten. Denn laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde dauert es durchschnittlich bis zu 5,7 Wochen, bis eine psychologische oder psychiatrische Behandlung starten kann.
Jeder Fall ist anders
Zur Therapierung gibt es verschiedene Angebote. So werden, je nach Einzelfall, z.B. psychologische Gespräche, Sportgruppen, Ergotherapie oder Genusstraining herangezogen. Jede Klinik arbeitet dabei nach unterschiedlichen Modellen mit unterschiedlichen Methoden. Ziel ist jedoch stets, die Patient*innen emotional zu begleiten, in Alltagssituationen zu unterstützen und die Menschen sukzessive zur Selbstständigkeit heranzuführen. Ein weiteres Ziel kann die die Reintegration in das Berufs- oder Schulleben sein.
Besonders bei Kindern kommen Therapietiere zum Einsatz. Sie helfen, Berührungsängste zu mindern und sorgen für eine Bindung, sodass die Behandelten Zuneigung verspüren. Therapietiere eignen sich weniger zur Behandlung der intellektuellen Fähigkeiten der Therapierten, sondern fördern die körperliche sowie psychische Gesundheit.
Wie schnell sich nach dem Start einer psychotherapeutischen Behandlung Besserung zeigt, kann man nicht pauschal beantworten. Die Erfolgsrate nach einer bestimmten Zeit korreliert etwa mit der Schwere der Erkrankung, dem Alter der Patient*innen, vorherigen Behandlungen, der Beziehung zum*zur Therapierenden, der Lebenssituation und dem Umfeld des Menschens ab.
Schockbilder aus der Vergangenheit und Filmen
Obwohl Psychotherapien oft eine positive Wirkung auf Betroffene haben, gibt es noch viele Vorurteile, nach denen Psychiatrien und Menschen mit psychischen Erkrankungen abgestempelt werden. Das Wort „Psychiatrie“ löst bei vielen ein sehr negatives Bild im Kopf aus: Elektroschockstühle, Zwangsjacken, alte heruntergekommene Gebäude, denen man lieber nicht zu nahekommen will, und Therapeut*innen, die in weißen Hemden lachend durch die Gegend laufen. Sätze wie „Wer einmal in die Klapse kommt, kommt nie wieder raus“ oder „dort werden die Irren und Verrückten eingesperrt und mit Medikamenten ruhiggestellt“ vollenden das Horrorszenario.
Die meisten dieser Vorurteile stammen aus Filmen wie „Einer flog über das Kuckucksnest“. Dort werden viel zu veraltete und mit Vorurteilen durchzogene Bilder dargestellt. Viele Menschen haben auch noch Bilder aus dem 15. und 17. Jahrhundert vor Augen, wo etliche Menschen auf Scheiterhaufen verbrannt und ihre Hinrichtung öffentlich zur Schau gestellt wurde. Sie wurden wie Verbrecher*innen behandelt und bekamen nicht die nötige Hilfe. Wer Anzeichen einer psychischen Krankheit hatte, wurde als Bestrafte*r Gottes abgestempelt, wovor die Leute Angst haben sollten.
Hilfe ist wichtig und richtig
Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Psychiatrie sind moderne Einrichtungen, die den Menschen helfen. Diese Stigmatisierung ist es, die die Menschen belastet und davon abhält, Hilfsangebote wahrzunehmen. Menschen mit Depressionen werden nach wie vor Vorwürfe gemacht, dass sie sich zusammenreißen sollen und Betroffene haben viel zu oft Angst, offen über ihre psychische Erkrankung zu reden. Oft wird eine psychische Krankheit auch mit Fehlern in der Lebensführung verwechselt.
Unsere Gesellschaft schweigt psychische Erkrankungen tot, dabei sind sie keine Seltenheit. Themen wie dieses dürfen kein Tabuthema mehr sein. Betroffene müssen besser über die Therapiemöglichkeiten aufgeklärt werden und frei über das Thema sprechen können. Eine ambulante Betreuung für seelische Erkrankungen darf nicht mit einer wochenlangen Wartezeit einhergehen. Dafür sind die Berufe der Pflegenden, Psychiater*innen und Psycholog*innen attraktiver zu gestalten. Und zu guter Letzt muss die Stigmatisierung nicht-körperlicher Krankheiten aufhören, die zusätzlichen Druck auf Betroffene ausübt.
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