Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – wo bleibt die Geschichte der Frau? Unser Geschichtsbuch gibt leider kaum Auskunft darüber.
Wenn man einen Blick in das Geschichtsbuch unserer Schule wirft und zum Jahr 1918 blättert, kann man so einiges finden. Es wird über das Ende des ersten Weltkriegs berichtet, die Novemberrevolution und später auch über die Weimarer Republik und den Vertrag von Versailles. Auf den ersten Blick scheint dies vollkommen normal zu sein. Doch etwas Entscheidendes fehlt. Blättert man nämlich weiter, trifft man irgendwann auf einen kleinen Absatz mit dem Titel „Die neue Rolle der Frau“.
In diesem kleinen Absatz wird beschrieben, dass sich das Leben der Frau durch das Frauenwahlrecht änderte. Danach geht es darum, wie sich jenes in der Kleidung und Frisur der Frauen widerspiegelte. Und das war’s. Gerade einmal fünf Sätze wurden dem gewidmet. Doch das Frauenwahlrecht ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Jahrzehnte lang haben Frauen dafür gekämpft und nicht wenige haben ihr Leben dafür gelassen.
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?
Die erste Frau, die sich öffentlich für das Frauenwahlrecht aussprach, war Olympe de Gouges im Jahr 1791. Der Spruch „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, der ein Symbol für die damalige Französische Revolution war, schloss Frauen klar aus. Dies schrieb sie unter anderem in ihrer „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Diese Erklärung beinhaltete Forderungen, wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie Kritik an der Verfassung, da „an ihrer Ausarbeitung die Mehrheit der Bevölkerung nicht mitgewirkt hat“. Für diese Erklärung und ihr feministisches Engagement wurde Olympe de Gouges 1793 zum Tode verurteilt und an der Guillotine hingerichtet.
Hinrichtung von Olympe de Gouges (1793)
In Deutschland war es 1848 Louise Otto, die sich als erste Frau für das Frauenwahlrecht aussprach. Sie schrieb in der sogenannten „Frauen-Zeitung“ mehrere Artikel über die Rechte der Frauen und die Wichtigkeit, diese zu stärken und auszuweiten. Mit der Zeit entstanden immer mehr Artikel und Bücher von verschiedenen Frauen, die das Dreiklassenwahlrecht kritisierten und das Stimm- und Wahlrecht für Frauen forderten. Zunehmend organisierten sich kleinere Gruppen, um über solche Themen zu sprechen und sich auszutauschen. Diese Bewegung wurde allerdings 1878 bis 1890 gehemmt durch das Sozialistengesetz, welches Sozialdemokratie verbat. Als benanntes Gesetz jedoch auslief, konnten Frauen wieder aktiver werden – wenn auch immer noch nur stark eingeschränkt. In zahlreichen Staaten des deutschen Kaiserreichs waren frauenpolitische Vereine verboten. Dieses Verbot wurde 1908 außer Kraft gesetzt.
Entgegen der Ergebnisse früherer Forschungen haben sich nicht nur Protagonistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung und Sozialdemokratinnen für das Frauenwahlrecht eingesetzt, sondern auch eher konservativ orientierte Frauen. 1902 nahm zum Beispiel der große Dachverband Bund deutscher Frauenvereine (BDF) den Kampf für das Frauenwahlrecht in sein Programm auf. Im gleichen Jahr gründete Anita Augspurg in Hamburg den ersten Frauenwahlrechts-Verein, den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht, und von diesem Moment an folgte eine Flut von Publikationen, Petitionen und Vorträgen, die sich alle mit dem diesem Thema auseinandersetzten.
Dabei gab es durchaus inhaltliche Unterschiede in den Debatten, denn nicht alle Frauen strebten ein freies, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht an. Viele Frauen, vor allem in Preußen, favorisierten als Zwischenschritt ein Wahlrecht, wie Männer es hatten: im preußischen Fall also ein Dreiklassenwahlrecht für Frauen. Dieses Position war sehr umstritten und so kam es, dass sich die Frauenwahlrechts-Bewegung spaltete. Vor dem Ersten Weltkrieg existierten in Deutschland demnach drei unterschiedliche Vereine.
Erster Weltkrieg stoppt Bestreben
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendete zunächst alle Bemühungen um das Frauenwahlrecht. Die Männer zogen an die Front und die Mehrzahl der Frauen organisierten die sogenannte Heimatfront. Ein kleiner Teil allerdings engagierte sich für den Frieden und schaffte es, zwei Frauen-Friedenskonferenzen einzuberufen. Die sozialdemokratischen Pazifistinnen trafen sich 1915 in Bern, die bürgerlichen Pazifistinnen in Den Haag.
Kaiser Wilhelm II. verkündete 1917 in seiner Osterbotschaft die Aussicht auf eine demokratische Wahlrechtserklärung, die allerdings die Forderungen der Frauen ignorierte. Dies führte dazu, dass immer mehr Frauen sich erneut dem Kampf des Frauenwahlrechts widmeten und sich zu einem Bündnis zusammenschlossen. Im Herbst des selben Jahres veröffentlichten Frauen der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD), des Reichsverbands für Frauenstimmrecht und des Deutschen Stimmrechtsbunds, eine gemeinsame Erklärung zur Wahlrechtsfrage. Ab Dezember 1917 bis November 1918 gab es in mehreren Großstädten eine Vielzahl an Kundgebungen zum Frauenwahlrecht. Diese blieben allerdings als erfolglos.
Im Oktober 1918 starteten Stimmrechtlerinnen einen weiteren Versuch. Sie forderten in einem Brief den Reichskanzler Prinz Max von Baden auf, sich mit ihnen zu einem Gespräch zu treffen. Dieser wurde von sehr vielen bedeutenden Frauen unterschrieben. Zu diesem Treffen kam es allerdings nie, denn am 12. November 1918 rief der Rat der Volksbeauftragten das künftige demokratische Wahlrecht aus. Somit wurde das preußische Dreiklassenwahlrecht abgeschafft und das aktive sowie gleichzeitig das passive Frauenwahlrecht eingeführt. Das bedeutete, dass Frauen wählen und gewählt werden durften.
Am 19.Januar 1919 fand die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung statt. Sie war die erste Wahl, die im gesamten Reich stattfand und in der Frauen das vollständige Wahlrecht hatten. In die Nationalversammlung wurden 37 Frauen aus fünf Parteien gewählt.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – wirklich?
Das für uns heute selbstverständliche Frauenwahlrecht, musste hart erkämpft werden und sich gegen viele Vorurteile von Männern und Frauen durchsetzen. Frauen wurden Vorurteile wie verminderte Intelligenz oder eine durch ihre Gebärfähigkeit „natürliche” Bestimmung für den privaten, scheinbar politikfernen Bereich zugeschrieben. In der Folgezeit mussten viele weitere Rechte und Ansprüche gesetzlich verankert werden.
Die Juristin Elisabeth Selbert, eine der vier „Mütter des Grundgesetzes”, setzte mit großem Einsatz durch, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt” am 23. Mai 1949 im Artikel 3, Abs. 2 unseres Grundgesetzes als Verfassungsgrundsatz aufgenommen wurde. Trotz dieser formalen Gleichberechtigung stoßen Frauen selbst 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts immer noch an eine „gläserne Decke“. Sie sind in gesellschaftlichen Führungspositionen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft nach wie vor stark unterrepräsentiert. Es gibt durchgehend eng gestrickte männliche Netzwerke, die das Aufsteigen von Frauen in Führungspositionen schlecht reden und verhindern.
Dass trotz dieser langen und revolutionären Geschichte der Kampf um das Frauenwahlrecht nicht einmal in unserem derzeitigen Geschichtsbuch erwähnt wird, ist inakzeptabel. Das Buch muss überarbeitet und das Thema in einer festen Unterrichtseinheit behandelt werden. Nicht nur, um zu zeigen, dass Emanzipation keine Selbstverständlichkeit ist, sondern auch, um die Vielzahl an Frauen zu würdigen, die dafür gekämpft und ihr Leben auf Spiel gesetzt haben.
Neben der Emanzipation von Frauen ist auch die Gleichbehandlung dunkelhäutiger Menschen ein wichtiges Gesellschaftsthema unserer Zeit. Welche Rolle die Black-Lives-Matter-Bewegung in diesem Streben hat, haben wir in einem anderen Artikel erklärt.