Die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te soll den Datei­aus­tausch zwi­schen Pra­xen ver­ein­fa­chen. Wir erklä­ren, was sie kann und wie sie funktioniert.

Gleich drei Neue­run­gen an der tele­ma­ti­schen Infra­struk­tur sol­len noch die­ses Jahr die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Mediziner*innen und Apotheker*innen ver­ein­fa­chen. Wir stel­len die­se vor.

Bran­chen­ver­bän­de und Politiker*innen beti­tel­ten die Ein­füh­rung der elek­tro­ni­schen Gesund­heits­kar­te im Jahr 2011 als „Auf­bruch in ein neu­es Zeit­al­ter“. Schnell jedoch leg­te sich die Auf­re­gung und es wur­de still um die Pro­zess­au­to­ma­ti­sie­rung im Medi­zin­be­reich. Wie schon so oft erwies sich die Digi­ta­li­sie­rung in Deutsch­land als Steckenpferd.

Die Ära Spahns

Mit Amts­an­tritt Jens Spahns soll­te sich das schlag­ar­tig ändern. „Bei der Sicher­heit von sen­si­blen Gesund­heits­da­ten wer­den wir ganz vor­ne ste­hen“, ver­sprach der neue Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter im Gespräch mit der Wirt­schafts­Wo­che rund ein Jahr nach sei­nem Amts­an­tritt. Eine Teil­ver­staat­li­chung der Gema­tik soll­te end­lich Raum für Inno­va­tio­nen schaf­fen. „Bis­her lief es doch so: Die Gema­tik woll­te eine Lösung für alle ent­wi­ckeln, war aber tech­no­lo­gisch stets zehn Jah­re hinterher.“

Bei der Sicher­heit von sen­si­blen Gesund­heits­da­ten wer­den wir ganz vor­ne stehen!

Jens Spahn

Jetzt ist es soweit. Seit dem 1. Janu­ar 2021 ist die ers­te Ver­si­on der neu­en elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te ver­füg­bar, wenn auch momen­tan nur als „erwei­ter­ter Feld­test“ in rund 200 aus­ge­wähl­ten Ber­li­ner Pra­xen. Gema­tik-Chef Mar­kus Leyck Die­ken zeigt sich zuver­sicht­lich: „2021 wird das ent­schei­den­de Jahr“, sag­te er dem Handelsblatt.

Eine ers­te Zwi­schen­bi­lanz kann schon gezo­gen wer­den: Han­delt es sich wie­der nur um hei­ße Luft oder hat das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um unter Füh­rung von Jens Spahn es nun end­lich geschafft? Die­se Fra­ge wol­len wir in die­ser und unse­rer nächs­ten Aus­ga­be klären.

Das ist die elektronische Patientenakte

Die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te (ePA) funk­tio­niert wie eine Doku­men­ten­ver­wal­tung. Nach ein­ma­li­ger Regis­trie­rung bei der Kran­ken­kas­se kön­nen Ver­si­cher­te gemein­sam mit ihren Hausärzt*innen Doku­men­te aus dem Pra­xis­ver­wal­tungs­sys­tem aus­wäh­len und an die Ser­ver der Tele­ma­ti­schen Infra­struk­tur (TI) über­tra­gen. Das kön­nen Befun­de und Labor­da­ten aus Fach­la­bo­ren, aber auch Ana­mne­se­bö­gen, Impf­be­schei­ni­gun­gen und der elek­tro­ni­sche Medi­ka­ti­ons­plan sein, der schon jetzt auf der elek­tro­ni­schen Gesund­heits­kar­te gespei­chert ist.

Die Tele­ma­ti­sche Infra­struk­tur funk­tio­niert dabei wie ein gro­ßes Intra­net zum pra­xis­über­grei­fen­den Doku­men­ten­aus­tausch, an das die Pra­xen über einen von der TI zer­ti­fi­zier­ten Kon­nek­tor ange­bun­den sind. Alle Daten wer­den ver­schlüs­selt abge­spei­chert und die Über­tra­gung ist an stren­ge Sicher­heits­be­stim­mun­gen gebunden.

Nun kön­nen alle ange­bun­de­nen Leistungserbringer*innen die Unter­la­gen anfor­dern. Die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te ope­riert sek­tor­über­grei­fend, ist also per­spek­ti­visch auch für Kran­ken­häu­ser, Psycho- und Physiotherapeut*innen und Apotheker*innen offen. Ange­for­der­te Unter­la­gen kön­nen in Sekun­den­schnel­le in das haus­ei­ge­ne Pra­xis­ver­wal­tungs­sys­tem über­nom­men werden.

Wer auf wel­che Doku­men­te zugrei­fen kann, bestim­men Nutzer*innen eigen­ver­ant­wort­lich über die Smart­phone-App ihrer Kran­ken­kas­se. So kön­nen Patient*innen genau kon­fi­gu­rie­ren, welche*r Mediziner*in für wel­chen Zeit­raum auf die gespei­cher­ten Doku­men­te zugrei­fen darf. Im Vor­der­grund der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te steht der selbst­be­stimm­te Umgang. Die Gema­tik möch­te „Nut­zer bestärk[en], sou­ve­rän und eigen­ver­ant­wort­lich mit ihren Gesund­heits­da­ten umzugehen“.

Regelmäßige Upgrades

Noch ist der Funk­ti­ons­be­reich der elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te rela­tiv kurz gedacht. So unter­stützt sie nur ins­ge­samt acht Datei­ty­pen und limi­tiert die Datei­grö­ße auf 25 Mega­byte. Mit fort­lau­fen­den Aktua­li­sie­run­gen sol­len die­se Beschrän­kun­gen nach und nach wegfallen.

Die ePA 2.0 kommt Anfang 2022 und

  • bringt eine umfang­rei­che Rech­te­ver­wal­tung, sodass Ver­si­cher­te ein­zel­ne Unter­la­gen aus­blen­den können
  • erlaubt Kin­dern, Alten und Men­schen mit Behin­de­rung das Fest­le­gen von Vertreter*innen, die die eige­nen Daten ver­wal­ten können
  • bie­tet seman­ti­sche Inter­ope­ra­bi­li­tät, d. h. sie hat eine Pro­gram­mier­schnitt­stel­le für Praxisverwaltungssysteme
  • ermög­licht die Spei­che­rung im Stan­dard­for­mat MIO, das bald auch Impf­päs­se, Bonus­hef­te der Zahnärzt*innen und Unter­su­chungs­hef­te für Klein­kin­der unterstützt

Die ePA 3.0 folgt mit Beginn des Jah­res 2023 und

  • geht mit dem Weg­fall der Datei­grö­ßen­be­schrän­kun­gen ein­her, bringt also die Spei­che­rung von hoch­auf­lö­sen­den Auf­nah­men und kom­ple­xen Daten­sät­zen wie MRT-Auf­nah­men mit sich
  • bringt eine Kurz­zu­sam­men­fas­sung der gespei­cher­ten Daten nach DIN EN 17269
  • weist eine Schnitt­stel­le zur Daten­spen­de für For­schungs­zwe­cke auf
  • bin­det die tele­ma­ti­sche Infra­struk­tur an ein EU-wei­tes Netz­werk für Patient*innendaten an

Noch nicht der Durchbruch

Auch wenn die elek­tro­ni­sche Patient*innenakte vie­le Vor­tei­le mit sich bringt, wird sie vor allem von Ärzt*innen und Datenschützer*innen noch immer hef­tig kritisiert.

  1. Für die Anbin­dung an die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te muss zunächst die Soft­ware der Kon­nek­to­ren auf Ver­si­on 4 aktua­li­siert wer­den. Doch das ist ein lang­wie­ri­ger Pro­zess und die Umstel­lung auf Ver­si­on 3 ist noch nicht ein­mal abgeschlossen.
  2. Mediziner*innen fürch­ten, die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te wer­de trotz zahl­rei­cher Fil­ter­funk­tio­nen unüber­sicht­lich blei­ben. Auf einer Ver­an­stal­tung des Ham­bur­ger eHe­alth-Forums fiel der Begriff einer „Über­ra­schungs­tü­te vol­ler PDFs“.
  3. Dass momen­tan nur eine Voll­frei­ga­be mög­lich ist, ist Datenschützer*innen zufol­ge nicht mit dem Prin­zip der Daten­spar­sam­keit nach DSGVO ver­ein­bar. Der Bun­des­be­auf­trag­te für Daten­schutz und Infor­ma­ti­ons­frei­heit droh­te bereits, recht­li­che Schrit­te gegen die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te in ihrer jet­zi­gen Umset­zung ein­zu­lei­ten. Stig­ma­ti­sie­ren­de Doku­men­te wür­den unter Umstän­den die Behand­lungs­er­fah­rung beeinträchtigen.

Die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te ist nur eines von drei gro­ßen Pro­jek­ten, die noch die­ses Jahr die Inter­ope­ra­bi­li­tät im Medi­zin­sek­tor stär­ken sol­len. In unse­rer nächs­ten Aus­ga­be wer­den wir das e‑Rezept und die pra­xis­über­grei­fen­de Kom­mu­ni­ka­ti­ons­schnitt­stel­le KIM vor­stel­len.

Die USA ist schon wei­ter. Wäh­rend wir noch damit kämp­fen, Daten pra­xis­über­grei­fend zugäng­lich zu machen, ist in Ame­ri­ka bereits die medi­zi­ni­sche Behand­lung in der Tele­fon­zel­le auf dem Vormarsch.

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