Ange­la Mer­kel präg­te das Poli­tik­ge­sche­hen noch weit über 16 Jah­re Amts­zeit hin­aus – eine gan­ze Gene­ra­ti­on trau­ert um ihren Abschied.

Ange­la Mer­kel ist in unse­rem poli­ti­schen Ver­ständ­nis ver­an­kert. Zumin­dest in dem der Gene­ra­ti­on Y, die den aller­größ­ten Teil ihrer poli­ti­schen Erin­ne­run­gen mit Mer­kel im Kanz­ler­amt ver­bin­det und dem der Gene­ra­ti­on Z, die nie­mand ande­ren kennt. Ins­be­son­de­re ihr beson­ne­nes, ratio­na­les und ruhi­ges Auf­tre­ten wird uns im Gedächt­nis blei­ben – genau­so wie ihre „Rau­te der Macht“ und ihre Anzugsjacken. 

Ange­la Mer­kel ist mit ihren 16 Jah­ren Amts­zeit alt­ein­ge­ses­sen, was aber kei­nes­falls unty­pisch für die Bundeskanzler*innen Deutsch­lands ist: Da wären etwa Ger­hard Schrö­der mit sie­ben, Hel­mut Schmidt mit neun Jah­ren, nicht zu ver­ges­sen auch die bei­den Poli­tik­rie­sen Ade­nau­er und Kohl mit jeweils 13 und 16 Jah­ren im Amt. Langzeitkanzler*innen sind schon fast Tra­di­ti­on. Kein Wun­der, dass Ange­la Mer­kel erst die ach­te Amts­in­ha­be­rin seit Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik 1949 ist.

Vom Physikstudium in den Bundestag

Gebo­ren wur­de Ange­la Doro­thea Kas­ner 1954 in Ham­burg; auf­ge­wach­sen ist sie in Bran­den­burg. Unse­re Kanz­le­rin stammt aus einem Eltern­haus mit einer Leh­re­rin als Mut­ter und einem evan­ge­li­schen Pfar­rer als Vater. Die gebür­ti­ge Ham­bur­ge­rin absol­viert 1973 ihr Abitur und beginnt anschlie­ßend ihr Phy­sik­stu­di­um an der Uni­ver­si­tät Leip­zig. Aus ihrer ers­ten Ehe nimmt sie den Namen Mer­kel mit, die Schei­dung folg­te fünf Jah­re nach der Hoch­zeit. Der Name, für den Sie die gan­ze Zeit Welt ken­nen ler­nen soll, bleibt. Nach der Fried­li­chen Revo­lu­ti­on im Herbst 1989 enga­giert sich Ange­la Mer­kel beim „Demo­kra­ti­schen Auf­bruch” (DA), einer ehe­ma­li­gen Par­tei der DDR, die sich im Okto­ber 1989, zu Zei­ten der Wen­de, kon­sti­tu­ier­te. Im Zuge der Fusi­on des Demo­kra­ti­schen Auf­bruchs mit der Christ­lich Demo­kra­ti­schen Uni­on Deutsch­lands im Jahr 1990, tritt Mer­kel pas­siv in die Uni­on ein. 

Kohls Mädchen

Ange­la Mer­kel wur­de im März 1990 stell­ver­tre­ten­de Regie­rungs­spre­che­rin der DDR-Regie­rung de Mai­ziè­re (die ers­te frei gewähl­te und gleich­zei­tig letz­te Regie­rung der DDR, deren Regie­rungs­zeit mit der deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung und dem Bei­tritt der DDR zur BRD kurz dar­auf ende­te) und gewinnt im sel­ben Jahr bei der ers­ten gesamt­deut­schen Bun­des­tags­wahl ihren Wahl­kreis. Sie war fort­an Mit­glied des Deut­schen Bun­des­tags. Bereits Zwei Jah­re nach Ein­tritt in die CDU wur­de Mer­kel stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de und soll­te es auch für die nächs­ten sie­ben Jah­re blei­ben. Par­al­lel fun­gier­te sie als Bun­des­mi­nis­te­rin für Frau­en und Jugend (1991–1994) im vier­ten Kohl-Kabi­nett. In ihre Amts­zeit fällt das Gleich­be­rech­ti­gungs­ge­setz, das die beruf­li­che Situa­ti­on von Frau­en ver­bes­sert. Auch den Rechts­an­spruch auf einen Kin­der­gar­ten­platz setz­te Ange­la Mer­kel als Bun­des­mi­nis­te­rin durch. 

Zwi­schen 1994 und 1998 dann war Mer­kel Bun­des­mi­nis­te­rin für Umwelt, Natur­schutz und Reak­tor­si­cher­heit – erneut unter Hel­mut Kohl. In ihre Amts­zeit fällt die ers­te UN-Kli­ma­kon­fe­renz 1995 in Ber­lin. 1998 kehr­te Mer­kel dem Amt den Rücken zu und wur­de Gene­ral­se­kre­tä­rin der CDU. 

Mit der Jahr­tau­send­wen­de ging es für Mer­kel hoch hin­aus: Sie über­nimmt sie den Vor­sitz der CDU Deutsch­lands – für geschla­ge­ne 18 Jah­re. Gleich­zei­tig war sie zwi­schen 2002 und 2005 Vor­sit­zen­de der CDU/C­SU-Frak­ti­on im Deut­schen Bun­des­tag. Am 22. Novem­ber 2005 wur­de Mer­kel im Bun­des­tag mit 397 Stim­men zur ers­ten weib­li­che Bun­des­kanz­le­rin der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land gewählt. Sie schlägt damit ihren sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Gegen­kan­di­da­ten Ger­hard Schrö­der und wird das Land für die nächs­ten 16 Jah­re füh­ren – 2009, 2013 und 2017 erfol­gen jeweils die Wiederwahlen. 

Helferin in der Not

2015 hät­te Ange­la Mer­kel fast nicht wie­der kan­di­diert. Nach der „Flücht­lings­kri­se“ herrsch­te ein star­kes poli­ti­sches Beben in der Uni­on, das zur Zer­reiß­pro­be der bei­den Schwes­ter­par­tei­en CDU und CSU wur­de. Was sie letzt­lich dazu gebracht hat, das Wag­nis der vier­ten Amts­zeit zu ris­kie­ren, wird oft mit der inter­na­tio­na­len poli­ti­schen Furo­re jener Zei­ten erklärt. Trump, der Brexit und die Kri­se der EU, der auch in Deutsch­land auf­tre­ten­de Rechts­po­pu­lis­mus – Mer­kel wird als Sym­bol­fi­gur der Sta­bi­li­tät in Zei­ten der Unru­he wahrgenommen. 

2016 kür­te die New York Times unse­re Bun­des­kanz­le­rin nach der Wahl Donald Trumps zur „letz­ten mäch­ti­gen Ver­tei­di­ge­rin Euro­pas und der trans­at­lan­ti­schen Alli­anz”. Ihr Rück­tritt vom Par­tei­vor­sitz der CDU 2019 führ­te vie­len vor Augen, dass auch die Ära Mer­kel begrenzt ist. Sie kün­dig­te an: „Eine fünf­te Amts­zeit wird es nicht geben.“ 

Eine fünf­te Amts­zeit wird es nicht geben.

Ange­la Mer­kel (2019)

Merkel ist Kult

Es liegt in der Natur des Men­schen, Rou­ti­nier­tes mit Weh­mut zu ver­ab­schie­den. Durch die Coro­na-Pan­de­mie ist der Abgang Mer­kels womög­lich in den Hin­ter­grund gerutscht. Doch fest­steht, dass unse­re Kanz­le­rin, unse­re „Angie“, unse­re Mut­ti, nicht erneut als Spit­zen­kan­di­da­tin der CDU zur Bun­des­tags­wahl im Sep­tem­ber kan­di­die­ren wird. Für vie­le Deut­sche ist das ein unge­wohn­ter Zustand, vor allem für die jun­gen. Unter Mer­kel ist eine Gene­ra­ti­on in einem sta­bi­len, sich trotz­dem wan­deln­den Land auf­ge­wach­sen. Es lässt sich nicht abstrei­ten, dass die­ser Umstand eine gan­ze Alters­grup­pe geprägt hat.

„Sie ken­nen mich und wis­sen ganz genau, wie ich Sachen anpa­cke“, wird zum Slo­gan Mer­kels. Ins­be­son­de­re jun­ge Wähler*innen fin­den sich mit Mer­kel in einer „Com­fort-Zone“. Immer wie­der wird der Gene­ra­ti­on Mer­kel Poli­tik­ver­dros­sen­heit vor­ge­wor­fen. Sich mit dem Zustand zufrie­den zu geben, ist anschei­nend kei­ne poli­ti­sche Mei­nung. Eine Gene­ra­ti­on, die mehr von You­Tube, Net­flix und Co. gefes­selt ist als von der Poli­tik, ruht sich auf der Kon­stan­te Mer­kel aus. Ein „Wei­ter so! Belas­sen wir es beim Alten!“ war unser Weg­wei­ser der letz­ten Jah­re. Doch damit ist jetzt vorbei.

Natür­lich, kol­lek­ti­ve Prä­gun­gen gan­zer Gene­ra­tio­nen las­sen sich nicht nur auf eine Staats­füh­rung, son­dern ins­be­son­de­re auf ein­schnei­den­de Erfah­run­gen und Ereig­nis­se zurück­füh­ren. Unse­re Gene­ra­ti­on, geprägt vom Umwelt­schutz, der Eman­zi­pa­ti­on und der Digi­ta­li­sie­rung erfuhr unter Mer­kel einen Auf­schwung. Immer­hin gab es 2005, als Ange­la Mer­kel Bundeskanzler*in wur­de noch nicht ein­mal iPho­nes! Mer­kels Kurs­än­de­rung der CDU, ihre Huma­ni­tät in der euro­päi­schen Soli­da­ri­täts­kri­se 2015 oder ihre Reak­ti­on auf Fuku­shi­ma – man kann die Kanz­le­rin in Sachen Poli­tik noch so kri­ti­sie­ren, ein­ge­se­hen wer­den muss aber, dass sie etwas getan hat. Sie ist in die Geschich­te ein­ge­gan­gen und hat für vie­le Ver­än­de­run­gen gesorgt. 

Ins­be­son­de­re das Erstar­ken rechts­po­pu­lis­ti­scher Par­tei­en in den let­zen Wah­len auf natio­na­ler und euro­päi­scher Ebe­ne macht vie­len jun­gen Wähler*innen jedoch Angst. Mit Mer­kel war man wenigs­tens auf der siche­ren Sei­te. Mei­ne Gene­ra­ti­on hat­te das außer­ge­wöhn­li­che Glück, in einer Pha­se des Frie­dens auf­ge­wach­sen zu sein. In einer Demo­kra­tie mit einer Fül­le an Mög­lich­kei­ten. Doch nichts ist sta­bil, wenn sich nicht dafür stark­ge­macht wird; erst recht nicht unse­re Demo­kra­tie. Die Zei­ten, sich auf etwas Gewohn­tem aus­ru­hen zu kön­nen, sind vor­bei. Die nächs­ten Wah­len sind ent­schei­den­der denn je, um eine Per­spek­ti­ve für die Zukunft zu setzen. 

Viel hat sich im letz­ten Jahr getan – auch poli­tisch. Kann ihre Nach­fol­ge mit Ange­la Mer­kel mit­hal­ten? Schreibt uns ger­ne über die Kom­men­ta­re, was ihr denkt.

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