Lang­zeit­fol­gen nach einer Infek­ti­on mit dem Coro­na­vi­rus sind zum gro­ßen Teil noch uner­forscht. Sie soll­ten uns jedoch alle besor­gen, zei­gen aktu­el­le Fälle.

Ob in der Schu­le, im Fern­se­hen oder in den sozia­len Medi­en: Kein The­ma ist der­zeit aktu­el­ler als die Imp­fung gegen das COVID-19-Virus. Gut so! Denn abge­se­hen von der Gefahr über­füll­ter Kran­ken­häu­ser kann eine Coro­na-Infek­ti­on auch bei mil­dem Krank­heits­ver­lauf lang­fris­tig gesund­heit­li­che Pro­ble­me nach sich zie­hen. Mil­lio­nen von Men­schen welt­weit kla­gen über sol­che „Long-Covid”-Dauerfolgen, die teil­wei­se auch zur Arbeits­un­fä­hig­keit füh­ren können.

Die arme­ni­sche Dok­to­rin Anna Khach­a­try­an ist beein­druckt. „Nach Ansicht von Exper­ten, die einen Arti­kel in der Fach­zeit­schrift Sci­ence ver­öf­fent­lich­ten, tut das Coro­na­vi­rus Din­ge, die kei­ne ande­re der Mensch­heit bekann­te Krank­heit je getan hat,“ erzählt sie uns. Sie selbst lei­det unter den lang­fris­ti­gen Fol­gen des Coro­na­vi­rus und beschäf­tigt sich inten­siv mit „Long-Covid”. Im Gespräch mit der Her­der­zei­tung schil­dert sie ihre per­sön­li­chen Erfah­run­gen und gibt Ein­bli­cke in die Forschung.

Frau Khachatryan, wie geht es Ihnen heute?

Im Ver­gleich zum Sep­tem­ber, als ich Coro­na-posi­tiv war, geht es mir bes­ser. Ich habe kein Fie­ber mehr und kann mein All­tags­le­ben wei­ter­hin ambi­tio­niert ange­hen. Aber mein Leben hat sich ver­än­dert, ich bin nicht mehr die­sel­be wie vor Covid.

Wie äußert sich das? Welche Veränderungen spüren Sie?

In ers­ter Linie füh­le ich eine stän­di­ge Schwä­che, die den gan­zen Tag an mir zerrt. Oft habe ich aus dem Nichts Herz­klop­fen, bin schlecht gelaunt und wei­ner­lich. Am meis­ten Sor­gen macht mir mein Gedächt­nis. Es ist schlech­ter gewor­den. Ich kann mich oft nicht ein­mal mehr an die grund­le­gen­den Fak­ten erin­nern, obwohl es mir fast auf der Zun­ge liegt, was es sehr schwie­rig macht zu arbei­ten und oft auch an mei­nem Selbst­wert­ge­fühl nagt. Nun, und dann ist da noch mein Aus­se­hen. Mei­ne Haa­re fal­len in einem kata­stro­pha­len Aus­maß aus.

Ergreifen Sie momentan Maßnahmen dagegen?

Anfangs dach­te ich, das sei nor­mal. Ich unter­schät­ze das Coro­na­vi­rus nicht und mir war klar, dass auch nach dem Fie­ber Sym­pto­me kom­men könn­ten, und das taten sie auch. Ich habe kei­ne chro­ni­schen Krank­hei­ten, daher war ich der Über­zeu­gung, dass sich mein Kör­per all­mäh­lich selbst erho­len wird. Aber gegen mei­ne Erwar­tun­gen ver­schlech­ter­te sich mein Zustand von Tag zu Tag. Mit­te Novem­ber ging ich zu einem Neu­ro­lo­gen, der mir Medi­ka­men­te zur Ver­bes­se­rung der Hirn­durch­blu­tung ver­schrieb. Er riet mir außer­dem, eine Rei­he von ande­ren Ärz­ten zu besu­chen. Ein Endo­kri­no­lo­ge stell­te eine Schild­drü­sen­fehl­funk­ti­on (Hyper­thy­reo­se) fest, die eine lang­fris­ti­ge Behand­lung erfor­dert. Ein Der­ma­to­lo­ge dia­gnos­ti­zier­te Alo­pe­zie (Haar­aus­fall) und ver­schrieb mir ein Behand­lungs­sham­poo und Vit­amin­prä­pa­ra­te, um mein Haar zu stärken.

Oft wird Long-Covid mit Müdigkeit, Atemnot und allgemeiner Schwäche in Verbindung gebracht. Da scheinen Ihre Symptome nicht wirklich zu der Beschreibung zu passen, oder?

Das stimmt nicht ganz, das Spek­trum an mög­li­chen Sym­pto­men einer Long-Covid- Erkran­kung ist groß und indi­vi­du­ell. Typisch sind in der Tat Atem­not, das chro­ni­sche Erschöp­fungs­syn­drom, dau­er­haf­te geis­ti­ge und kör­per­li­che Müdig­keit, Schlaf- und Kon­zen­tra­ti­ons­stö­run­gen sowie Kopf- und Mus­kel­schmer­zen. Jedoch gibt es Berich­te, dass auch vie­le ande­re Sym­pto­me auftreten.

Wie sagen die Ärzt*innen zu Ihrem Zustand?

Alle Ärz­te sagen, es han­delt sich um eine typi­sche Erschei­nung. Das Virus hat in mei­nem Fall nicht nur die Atem­we­ge befal­len und teil­wei­se geschä­digt, son­dern auch die Ner­ven­zel­len, die Haar­fol­li­kel und die Schild­drü­se. Das ist es, wor­auf alle mei­ne Sym­pto­me zurück­zu­füh­ren sind. Ich habe jetzt eine umfas­sen­de The­ra­pie; neben Medi­ka­men­ten zur Ver­bes­se­rung der zere­bra­len Durch­blu­tung erhal­te ich auch Medi­ka­men­te zur Nor­ma­li­sie­rung der Herz­fre­quenz und der Schild­drü­sen­funk­ti­on. Es ist eine Lang­zeit­the­ra­pie, die viel Kraft und Zeit erfordert.

Gibt es überhaupt wirksame Behandlungsmöglichkeiten für bereits an Long Covid erkrankte Personen? Spüren Sie schon eine Verbesserung?

Nun, noch gibt es kei­ne Mög­lich­kei­ten, Long-Covid zu behan­deln. Dafür ist das Virus zu wenig erforscht. Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men oder The­ra­pien kön­nen aber gegen die Sym­pto­me hel­fen. Ich bin in der zwei­ten Woche der Behand­lung. Mei­ne Haa­re fal­len weni­ger aus, ich schla­fe bes­ser. Aber abge­se­hen davon ist es noch zu früh, um eine Aus­sa­ge zu tref­fen. Bei­spiels­wei­se gibt es kei­ne Garan­tie dafür, dass mich die Hyper­thy­reo­se nicht mein gan­zes Leben lang beglei­ten wird.

Kann man Long Covid verhindern?

Ja, das kann man. Covid ist beängs­ti­gend. Selbst nach der Gene­sung ist der Alp­traum nicht vor­bei. Aber eine Imp­fung hilft, das Risi­ko von Long-Covid wesent­lich zu ver­rin­gern. Der Kör­per hat von Anfang an eine viel grö­ße­re Flä­che an Mög­lich­kei­ten, um gegen die Infek­ti­on anzu­tre­ten und lang­fris­ti­ge Schä­den zu ver­mei­den. Lei­der kann trotz einer Imp­fung Long-Covid nicht kom­plett aus­ge­schlos­sen wer­den, wie es bei mir der Fall war.

Wen trifft Long Covid am ehesten?

Über­ra­schen­der­wei­se sind Erkrank­te im Alter zwi­schen 30 und 50 am ehes­ten betrof­fen. Von allen Per­so­nen, die eine aku­te Coro­na-Infek­ti­on durch­ma­chen, lei­den ca. 15% auch an Long-Covid-Beschwer­den. Nach 6 Mona­ten sind es noch ca. 5%. Dabei spielt die Schwe­re der Erkran­kung kei­ne Rol­le. Auch eine kaum bemerk­ba­re Erkran­kung kann Long-Covid herbeiführen.

Was ist denn die Ursache von Long-Covid?

Das ist eine gute Fra­ge, die nicht wirk­lich zu beant­wor­ten ist. Tat­säch­lich ist noch nicht klar, was der Grund ist. Eine Ver­mu­tung ist, dass der Virus wegen sei­ner star­ken Dif­fe­ren­zie­rung von ande­ren dem Kör­per bekann­ten Erre­gern eine Auto­im­m­un­re­ak­ti­on aus­lö­sen kann, das heißt eine Abwehr­re­ak­ti­on des Kör­pers pro­vo­ziert, die sich fälsch­li­cher­wei­se gegen den eige­nen Kör­per rich­tet. Eine ande­re Vari­an­te wäre auch der direk­te Scha­den an Orga­nen oder Hirn­be­rei­chen, wie es bei mir der Fall ist.

Was empfehlen Sie der Politik?

Ich möch­te nicht ger­ne in der Haut eines Poli­ti­kers ste­cken. Es gibt wohl kei­ne Ent­schei­dung, die alle glück­lich machen kann. Die rich­ti­gen Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, ist hart und schwer. Aber es gibt wenigs­tens etwas, wor­auf unse­re Hoff­nung auf­bau­en kann. Das ist die Imp­fung. Wenn wir uns die Fak­ten anse­hen, dann kann jedes Medi­ka­ment Neben­wir­kun­gen aus­lö­sen. Aber wir müs­sen die Vor­tei­le gegen die Risi­ken abwä­gen.
Die Geschich­te hat gezeigt, dass Imp­fun­gen Mil­lio­nen von Men­schen­le­ben geret­tet haben und es nie mas­sen­haf­te Neben­wir­kun­gen gab oder All­er­gien aus­ge­löst wur­den. Die Sta­tis­ti­ken spre­chen ein­deu­tig für die Imp­fung. Mei­ner Mei­nung nach ist heut­zu­ta­ge die Imp­fung die ein­zi­ge Mög­lich­keit, eine Kata­stro­phe zu ver­hin­dern. Ich emp­feh­le jedem von Her­zen, die Mög­lich­keit einer Imp­fung wahr­zu­neh­men. Schüt­zen Sie sich selbst, schüt­zen Sie Ihre Lie­ben. Denn man tut im Regel­fall den Men­schen um einen her­um eher damit einen Gefal­len, als sich selbst.

Die Her­der­zei­tung dankt Frau Khach­a­try­an für Ihre Zeit und das aus­führ­li­che Interview.

Hier fin­dest du alle unse­re Inter­views in einer Übersicht.

Bild: Frau Khach­a­try­an (pri­vat)
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