Deutsch­land ist auf Auf­hol­jagd: Wäh­rend die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te gera­de aus ihren Kin­der­schu­hen her­aus­wächst, stellt die Tele­ma­tik gleich zwei wei­te­re Neue­run­gen vor.

Im Febru­ar haben wir bereits über die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te berich­tet. Zu Redak­ti­ons­schluss steck­te das Pro­jekt noch in den Kin­der­schu­hen. So war es noch nicht bun­des­weit ver­füg­bar und befand es sich noch in der Pha­se des „erwei­ter­ten Feld­tests“. Heu­te ist bereits ein Groß­teil der Leistungserbringer*innen an die Erwei­te­rung der Tele­ma­ti­schen Infra­struk­tur ange­schlos­sen. Für zwei der drei Gro­ßen TI-Kon­nek­to­ren hat die Gema­tik die not­wen­di­gen Aktua­li­sie­run­gen bereits frei­ge­ge­ben. Für die Gerä­te von Com­puGroup Medi­cal ist die­ser Schritt für Juli angekündigt.

Bis Ende 2022 müs­sen Patient*innen ihren elek­tro­ni­schen Medi­ka­ti­ons­plan und ihre Not­fall­da­ten von der elek­tro­ni­schen Gesund­heits­kar­te in die digi­ta­le Pati­en­ten­ak­te über­füh­ren las­sen, denn ab dem 1. Janu­ar 2023 muss die Gema­tik die Spei­che­rung auf dem Chip in der Kran­ken­kas­sen­kar­te unterbinden.

Die Reno­vie­run­gen in der medi­zi­ni­schen IT-Infra­struk­tur bau­en auf den Grund­sät­zen der Nut­zer­zen­triert­heit, der Inter­ope­ra­bi­li­tät und der Aus­fall­si­cher­heit, ver­spricht die Gema­tik. „Wir den­ken unser Ange­bot und unse­ren Auf­trag kom­plett neu“, lobt Geschäfts­füh­rer Dr. Mar­kus Leyck Die­ken. Ein föde­rier­tes Iden­ti­täts­ma­nage­ment, uni­ver­sel­le Zugangs­schnitt­stel­len und eine moder­ne Sicher­heits­ar­chi­tek­tur wür­den sicher­stel­len, dass der Zugriff für ange­bun­de­ne Mediziner*innen ein­fach gehal­ten wird, zugleich aber unbe­fug­te Drit­te zukunfts­si­cher aus­ge­sperrt wer­den. Mit dem Umbau der medi­zi­ni­schen Digi­tal-Land­schaft ein­her geht auch die Ein­füh­rung des e‑Rezepts.

Das e‑Rezept kommt

Die Idee des e‑Rezepts ist nicht neu. Wur­de es vor rund drei­ßig Jah­ren bei der Vor­stel­lung der Spe­zi­fi­ka­tio­nen für die elek­tro­ni­sche Gesund­heits­kar­te von der Fraun­ho­fer-Gesell­schaft noch in einem Sketch ver­ar­bei­tet, so stand pünkt­lich zur Jahr­tau­send­wen­de ein ers­ter Ent­wurf über die tech­ni­sche Aus­füh­rung des Vor­ha­bens, kurz nach dem Lipo­bay-Skan­dal, bei dem zwei Arz­nei­mit­tel des Bay­er-Kon­zerns hef­tig wech­sel­wirk­ten. Dabei stand es im Vor­der­grund, sol­che che­mi­schen Kor­re­la­tio­nen in der Wirk­wei­se von Medi­ka­men­ten früh­zei­tig zu erken­nen und Patient*innen zu war­nen – ein Ziel, das mitt­ler­wei­le im elek­tro­ni­schen Medi­ka­ti­ons­plan ver­wirk­licht wurde.

Heu­te beruht der kon­zep­tio­nel­le Gedan­ken der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te eher auf der Fäl­schungs­si­cher­heit und Inte­gri­täts­prü­fung aus­ge­stell­ter Rezep­te. Über ein föde­rier­tes Iden­ti­täts­ma­nage­ment signie­ren Ärzt*innen Rezep­te elek­tro­nisch. Dabei mel­den sich die Mediziner*innen auf einem Sys­tem der tele­ma­ti­schen Infra­struk­tur an, unter­schrei­ben Rezep­te digi­tal über eine Chip­kar­te in ihrem elek­tro­ni­schen Heil­be­rufs­aus­weis und über­tra­gen sie anschlie­ßend auf einen Ser­ver inner­halb der TI.

Die Patient*innen bekom­men nun nicht mehr das tat­säch­li­che Rezept in phy­si­cher Form über­hän­digt, son­dern ledig­lich noch einen ein­deu­ti­gen Token, über den Apo­the­ken das Rezept auf dem Ser­ver aus­fin­dig machen und ent­schlüs­seln kön­nen. Die­sen kön­nen Kund*innen ent­we­der in der eigens für die­sen Zweck ent­wi­ckel­ten App der Gema­tik über die Anmel­de­da­ten ihrer Ver­si­cher­ten­kar­te abru­fen oder aber in Papier­form mit­neh­men. Über im Rezept gespei­cher­te Dis­pen­sie­rungs­hin­wei­se der Pra­xis kann die Apo­the­ke ihre Kund*innen fach­kun­dig und per­so­na­li­siert über die Dosie­rung und die Zunah­me auf­klä­ren. Nach der Aus­ga­be des Medi­ka­ments wird das Rezept von der Apo­the­ke auf dem TI-Ser­ver inva­li­diert, sodass es nicht zu einer Mehr­fach­ein­lö­sung kom­men kann. Alter­na­tiv bestel­len Patient*innen das Arz­nei­pro­dukt in Sekun­den­schnel­le über die App bei einer Onlineapo­the­ke und bekom­men es nach Hau­se geliefert.

Mit dem E‑Rezept wird nicht nur die Kom­pro­mit­tie­rung der Sys­te­me durch per­so­nel­les Fehl­ver­hal­ten und die Miss­ach­tung der Vor­ga­ben im Umgang mit sen­si­blen, ver­schrei­bungs­pflich­ti­gen Medi­ka­men­ten wie etwa Betäu­bungs­mit­teln aus­ge­schlos­sen. Viel­mehr pro­fi­tie­ren die Patient*innen von einer beque­men Hand­ha­be über eine Smart­phone-App. Älte­re Men­schen oder sol­che, die kein Smart­phone benut­zen kön­nen oder möch­ten, rei­chen ihr Rezept wie gehabt abwärts­kom­pa­ti­bel per Papier­zet­tel mit einem QR-Code ein. Auch sie müs­sen dabei nicht auf die Vor­zü­ge der umfang­rei­chen Sicher­heits­schwel­len verzichten.

Phasen des e-Rezepts visualisiert

Aktu­ell ist das e‑Rezept nur in rund 50 Ber­li­ner und Bran­den­bur­gi­schen Pra­xen erhält­lich und in etwa 120 Apo­the­ken ein­lös­bar. Erst ab dem 1. Okto­ber kön­nen es Ärzt*innen bun­des­weit anbie­ten. Ab 2022 löst es das Papier­re­zept end­gül­tig ab und die Teil­nah­me am e‑Rezept wird für alle Ärzt*innen und Apother*innen ver­pflich­tend. Ab 2026 sol­len e‑Rezepte als letz­ter Schritt trans­na­tio­nal auf euro­päi­scher Ebe­ne inter­ope­ra­bel sein, sodass bei­spiels­wei­se ein in Deutsch­land aus­ge­stell­tes Rezept auch auf Geschäfts­rei­se ein­ge­löst wer­den kann.

KIM: E‑Mails, die Geld kosten

Eine wei­te­re neue Schnitt­stel­le kon­zen­triert sich auf die Kom­mu­ni­ka­tio­nen und den Daten­aus­tausch von Ärzt*innen unter­ein­an­der. Wäh­rend bis­lang vie­le sen­si­ble Gesund­heits­da­ten über unver­schlüs­sel­te Fax­ver­bin­dun­gen über­tra­gen wer­den oder mit mehr­tä­gi­ger War­te­zeit pos­ta­lisch über­mit­telt wer­den, soll mit dem Pro­jekt „Kom­mu­ni­ka­ti­on in der Medi­zin“ (KIM) ein ein­heit­li­ches Sys­tem inte­gra­ler Bestand­teil des Ärzt*innenalltags und des Aus­tauschs von Befun­den und Nach­rich­ten werden.

Der Grund­auf­bau von KIM ist dabei mit dem Ver­sand einer E‑Mail-Nach­richt ver­gleich­bar. Über sys­tem­in­ter­ne Adres­sen nach dem Sche­ma „ärzt*in@fachdienst.kim.telematik” adres­sie­ren die ange­bun­de­nen Pra­xen Nach­rich­ten an die Kolleg*innen. Die­se wer­den dann über aus dem Ver­sand von E‑Mails bekann­te Pro­to­kol­le wie SMTP und POP3 über­tra­gen, lan­den dabei aber aus­schließ­lich auf Ser­vern der KIM-Anbieter*innen, das heißt über das KIM-Sys­tem kön­nen kei­ne Nach­rich­ten an exter­ne Stel­len und Pri­vat­per­so­nen gesen­det wer­den. Im Spät­som­mer wird auch die kas­sen­ärzt­li­che Bun­des­ver­ei­ni­gung an das Sys­tem ange­schlos­sen, sodass der pos­ta­li­sche Ver­sand von Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen ent­fällt. Dass nicht jede*r Nach­rich­ten mit KIM emp­fan­gen kann, ist gewollt und auch wich­tig, denn KIM-Nach­rich­ten wer­den elek­tro­nisch über asym­me­tri­sche Schlüs­sel­paa­re (Public Key und Pri­va­te Key) signiert und die Iden­ti­tät der Empfänger*innen vor der Zustel­lung geprüft und doku­men­tiert. Abge­rech­net wird der Dienst pro Nach­richt und kos­tet Versender*in und Empfänger*in dabei jeweils Beträ­ge im zwei­stel­li­gen Centbereich.

Wirk­lich nütz­lich ist das KIM-Sys­tem zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt aber noch nicht, denn die Datei­grö­ße für Anhän­ge ist auf maxi­mal 25 Mega­byte beschränkt – deut­lich zu wenig für hoch­auf­lö­sen­de Rönt­gen­bil­der oder gar MRT-Aufnahmen.

Was die Zukunft bringt

Vie­le der vor­ge­stell­ten Ent­wick­lun­gen befin­den sich noch in der Test­pha­se und haben noch mit Kind­heits­krank­hei­ten zu kämp­fen. Das Inter­net ist auch in der Medi­zin Neu­land. Wäh­rend die tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung expo­nen­ti­ell vor­an­schrei­tet (Moo­re­sches Gesetz), sind vie­le Behör­den und staat­lich regu­lier­te Anwen­dun­gen noch immer nicht im post­mo­der­nen Zeit­al­ter ange­kom­men. Neue­run­gen, die viel­ver­spre­chend klin­gen, sind woan­ders schon alt­be­währt. In einer ver­gan­ge­nen Aus­ga­be haben wir vor­ge­stellt, wie in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten Behand­lun­gen in der Tele­fon­zel­le durch­ge­führt wer­den. Im Bal­ti­kum funk­tio­niert das trans­na­tio­na­le Ein­lö­sen von Rezep­ten schon lan­ge, EU-weit soll es erst 2016 kommen.

Es ist an der Zeit, dass Deutsch­land und die EU auf­ho­len, um im inter­na­tio­na­len Ver­gleich mit­hal­ten zu kön­nen. Wäh­rend­des­sen ver­su­chen sich die füh­ren­den Tech­no­lo­gie­an­bie­ter schon an der per­so­na­li­sier­ten Medi­zin. In der Zukunft wer­den Weara­bles stän­dig Gesund­heits­da­ten sam­meln, so die Visi­on der Hersteller*innen. Künst­li­che Intel­li­genz soll das Sprung­brett zur per­so­na­li­sier­ten Medi­zin sein. Bei Jugend forscht stellt eine Sieb­zehn­jäh­ri­ge eine Künst­li­che Intel­li­genz vor, die die Leu­ko­zy­ten­dif­fe­ren­zie­rung für die Leuk­ämie­dia­gnos­tik sou­ve­rä­ner als erfah­re­ne Ärzt*innen beherrscht. Groß­kon­zer­ne wie Goog­le arbei­ten an neu­ro­na­len Net­zen, die Haut­krank­hei­ten zuver­läs­sig per Foto erken­nen. „Digi­tal Health [ist der] Auf­bruch in ein neu­es Zeit­al­ter“, titelt das Ärzteblatt.

Bild: Gema­tik
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