Die Situation in Amerika, die heiß-diskutierte Studie über Racial Profiling in Deutschland. Ein Polizist spricht Klartext.
Nach der Black-Lives-Matter-Demo im Juni waren die Meinungen gespalten. Wir haben mit Polizeihauptkomissar Marco Hahn gesprochen, der an diesem Tag vor Ort im Einsatz war. Er ist schon seit vielen Jahren bei der Hundestaffel im Einsatz und schildert im Interview, wie er die Dinge sieht.
Herr Hahn, wollten Sie schon immer Polizist werden? Und wieso gerade bei der Hundestaffel?
Ja, ich wollte schon immer Polizist werden. Schon mein Vater und mein Großvater waren Polizisten. Ich habe früher gemerkt, dass mein Vater auch nach zwanzig, fünfundzwanzig Dienstjahren immer noch gerne zur Arbeit gegangen ist. Bei meinen Freunden habe ich relativ häufig mitbekommen, dass ihre Eltern nicht so gerne zur Arbeit gehen. Da dachte ich mir, dass das auch für mich ein Beruf sein könnte.
Ich bin seit zweiundzwanzig Jahren bei der Polizei und erst seit zwei Jahren bei der Hundestaffel. Das hat sich einfach so ergeben. Und ich finde das „Einsatzmittel Hund“, wie es bei uns heißt, sehr interessant.
Was ist das Besondere an der Hundestaffel und wie unterscheidet sie sich von anderen Einheiten? Sind Hunde gute Polizist*innen?
Hunde sind erstmal gute Polizisten, weil sie nicht dazwischenreden [lacht]. Das ist schon mal ganz gut und der Vorteil gegenüber dem Menschen. Sie sind treu, freuen sich darüber, dass man ihnen Futter gibt und machen ihre Arbeit, weil sie wissen: Wenn ich sie mache, krieg ich ein Lob.
Ein Hund ist ganz vielfältig einzusetzen. Deswegen ist der Job sehr interessant. Und er ist sehr vielfältig: Hunde kommen bei Versammlungen genauso zum Einsatz wie im normalen Funkwagen oder auch bei besonderen Lagen, also zum Beispiel Überfällen.
Wie und warum kommen Hunde bei Demonstrationen zum Einsatz?
Hunde haben bei Versammlungen ganz viele Möglichkeiten, die ich hier alle gar nicht sagen kann und möchte, weil wir ja sonst alle unsere Geheimnisse verraten würden. Aber eins ist klar: Der Hund hat erstmal eine abschreckende Wirkung und das ist schon mal viel wert. Denn wir wollen verhindern, dass etwas passiert, also Straftaten vorbeugen.
Und wenige Hunde können viel helfen: Wenn ich eine ganze Polizeikette von dreißig Personen habe und die wollen eine Absperrung durchführen, dann gehen Leute, die sich nicht an die Absperrung halten wollen, immer an die Kollegen ran und wollen mit ihnen diskutieren. Habe ich aber acht Beamte und zusätzlich sechs Hunde an einer drei Meter langen Leine und die bellen rum, dann kommt keiner mehr zum Diskutieren oder Stören der polizeilichen Maßnahmen.
Im Notfall kann ein Hund auch beißen, vorrangig zur Selbstverteidigung. Bei einem Fall, bei dem der Täter einen Baseballschläger und auch eine Waffe in der Hand hatte, wurde er durch einen Hundebiss zu Boden gebracht. Dann schicke ich lieber den Hund vor, weil ich nicht weiß, ob der Täter die Schusswaffe zieht.
Sie waren am 06. Juni bei der Black-Lives-Matter-Demonstration im Einsatz. Was waren Ihre Eindrücke? Was war besonders?
Für mich ist erstmal jede Demonstration gleich. Es ist mir vollkommen egal, ob es zehn Menschen oder tausend Menschen sind, die demonstrieren. Es war die erste große Demonstration nach der Änderung der Corona-Beschränkungen. Die Abstandsregeln wurden bei dieser Demonstration definitiv nicht eingehalten. Die Menschen sind auch auf Dächer und Baustellen geklettert und haben sich und andere in Gefahr gebracht. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war alles gut, dann ist alles umgeschlagen. Die Kollegen wurden mit Flaschen angegriffen und so massiv eingekesselt, dass wir ihnen Unterstützung geben mussten, um sie da überhaupt rauszukriegen.
Haben Sie das Gefühl, dass es Leute gibt, die gezielt nach einer Demonstration die Polizei provozieren, um sich mit ihr zu prügeln?
Ja. Das habe ich nicht im Gefühl, das ist so. Es gibt immer bestimmte Gruppen, die die Konfrontation suchen, dann merken, dass es während der Demonstration nicht klappt und so lange bleiben, bis sie die gewünschte Konfrontation haben. Es geht sogar noch weiter. Die, die Gewalt suchen, benutzen friedliche Demonstrierende als Deckung. Die vermischen sich mit denen und können dann aus der Masse heraus Gewalt ausüben, wie zum Beispiel durch einen Flaschenwurf. Die meisten Demonstrationen in Berlin sind aber friedlich und das ist auch gut so.
Wenn Sie nicht im Einsatz gewesen wären, hätten Sie dann mitdemonstriert?
Ich hätte persönlich nicht mitdemonstriert, weil ich davon in diesem konkreten Fall nichts halte, aber das ist eine andere Sache. Ich hätte allerdings mitdemonstrieren dürfen. Nur weil ich Polizist bin, heißt es nicht, dass ich nicht demonstrieren darf. Denn wenn mir ein Thema wichtig ist, darf ich mich genauso auf die Straße stellen. Natürlich dann nicht mit Uniform oder erkennbar als Polizist.
Was genau meinen Sie damit, dass Sie nichts von der Demonstration halten?
Ich persönlich halte nichts davon, bei dem Thema auf die Straße zu gehen, da ich denke, dass wir die USA nicht wirklich mit der deutschen Polizei vergleichen können. Und zum anderen denke ich, dass man auch darauf vertrauen muss, dass der Rechtsstaat USA seine Verbrechen eigenständig aufklärt. Und da eine Vorverurteilung reinzubringen, indem ich sage, dass der Polizist ihn nur umgebracht hat, da er schwarz ist und dafür auf die Straße gehen, möchte ich ungern, da ich die Situation gerne neutral betrachten möchte. Ich würde deswegen abwarten, was die Ermittlungen bringen. Wenn sich dann im Nachhinein herausstellt, dass er das nur aus rassistischen Gründen gemacht hat, dann würde ich ebenfalls mitdemonstrieren. Aber von vornherein eine Vorurteilung, nur anhand eines Videos zu machen, ohne die Umstände zu kennen, werde ich nicht.
Was ist Ihre Meinung zu ACAB („All Cops Are Bastards“)? Beleidigt Sie das persönlich oder fühlen Sie sich dadurch angegriffen?
Ja, es beleidigt mich persönlich und ich fühle mich dadurch angegriffen. Wir gehen jeden Tag auf die Straße, um Menschen zu helfen und jeder der ACAB ruft, ist immer einer der ersten, der bei einer Auseinandersetzung die Polizei anruft und Hilfe verlangt. Das machen wir auch und das machen wir auch gerne, aber ich muss mich nicht dafür beleidigen lassen, dass ich meinen Kopf für andere Leute hinhalte. Ich halte mich an Recht und Gesetz. Ich habe das alles gelernt, stehe dafür auch ein, habe auf die Verfassung geschworen. Ich sehe da das Problem nicht, dass ich was falsch mache. Und wenn ich was falsch mache, wird das der Rechtsstaat aufklären. Das ist auch in Ordnung so, denn ich bin auch nur ein Mensch und kann Fehler machen.
Werden Sie auf Demonstrationen oder Veranstaltungen oft beschimpft? Wie fühlen Sie sich dabei?
Ja, meine Kollegen und ich werden sehr oft beschimpft. Ich schaue dann oft, ob es strafrechtlich relevantes Beschimpfen ist, denn dann versuche ich immer, eine Festnahme zu tätigen. Nach zwanzig Dienstjahren bin ich immer noch der Meinung, dass, wenn mich jemand laut und offenkundig beleidigt und ich keine Festnahme tätige, die Polizei die Autorität bei den Bürgern verliert. Der Gedanke nach dem Motto „Was lassen die sich denn alles gefallen?“ soll bei den Bürgern nicht entstehen. Die Beleidigungen nehme ich mittlerweile nicht mehr mit nach Hause. Ich mache das aus Überzeugung, da ich gerne Polizist bin und Menschen helfen kann. Nicht immer, aber öfter hört man auch mal ein Danke.
Denken Sie, dass man die US-Polizei mit der deutschen Polizei vergleichen kann?
Nein, das denke ich keinesfalls. Allein in der Ausbildung sieht man große Unterschiede: In den USA geht man drei Monate zur Polizeiakademie und bei uns sind es drei Jahre. Daran merkt man schon, dass die Qualität eine ganz andere ist. Auch die tägliche Arbeit unterscheidet sich. In den USA muss man damit rechnen, dass jede Person, die man kontrolliert oder anspricht, eine Waffe bei sich trägt, weil das Recht zum Tragen einer Waffe in der Verfassung der USA verankert ist. Entsprechend anders verhalten sich die Kollegen. Die einzige Gemeinsamkeit, auch weltweit, sind die Festnahmesituationen, die immer unschön aussehen, da sie mit Gewalt verbunden sind. Diesen sind aber regelmäßig Bilder des Belehrens und Erklärens vorausgegangen. Diese werden jedoch oftmals nicht gesehen. Die Hauptaufgabe eines Polizisten ist „reden“ und „vermitteln“.
Gibt es bei der Berliner Polizei eine kulturelle Vielfalt und welche Rolle spielt das?
Es gibt eine große kulturelle Vielfalt und zum Glück auch eine sprachliche. Denn es hilft ungemein, wenn wir Menschen ansprechen, die kein Deutsch sprechen und ein Kollege spricht dann deren Sprache.
Was denken Sie über die Idee, eine Studie über Racial Profiling bei der Polizei durchzuführen?
Von mir aus kann man die Studie machen, da es an meiner Arbeit nichts ändert. Wir handeln als Polizei auf Grundlage von Verdachtsmomenten und nicht von Hautfarbe oder Ähnlichem. Im Görlitzer Park zum Beispiel sind nun mal Drogendealer fast ausschließlich Schwarz-Afrikaner. Deshalb kontrollieren wir auch sie und nicht auf der Parkbank sitzende Omas. Das hat nichts mit der Hautfarbe zu tun, sondern mit Zahlen und Fakten. Im Übrigen ist unser Handeln immer überprüfbar und jeder kann sich beschweren, wenn er oder sie sich durch die Polizei ungerecht behandelt fühlt und solchen Beschwerden wird dann auch nachgegangen.
Was würden Sie Schüler*innen mitteilen, die überlegen, in den Polizeidienst zu gehen? Gibt es bestimmte Eigenschaften, die man haben muss?
Man braucht ein relativ dickes Fell. Denn Kritik an der Polizei kommt von vielen Seiten. Und man muss sich bewusst sein, dass der Beruf auch gefährlich ist. Es passiert, dass man einer alten Dame aufhilft, die gestürzt ist und keine zehn Minuten später einem Messerangriff ausgesetzt ist. Und man sieht Dinge, die andere nicht sehen. Es kann sein, dass man als letzter die Hand von jemanden hält, der gerade verstirbt, weil er unter einem LKW eingeklemmt ist und man der Person nicht helfen kann. Man sieht tote Kinder, tote Menschen und da braucht man ein dickes Fell.
Und man sollte eine gewisse Sportlichkeit mitbringen. Bei einer Demonstration trägt man teilweise zwanzig Kilo Gepäck über Stunden, man rennt bei über dreißig Grad im Schatten mit einer Jacke rum. Das gute ist die große Bandbreite an Tätigkeiten. Ich kann Hubschrauberpilot werden, ich kann Sanitäter werden, Einsatzbeamter, Polizeitaucher, Diensthundführer und so weiter. Mir macht der Beruf auch nach über 20 Jahren noch Spaß und ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit.