Die Digitalisierung erreicht auch den Supermarkt. Wie der Kassenbon in Zukunft online gehen kann und damit Unmengen Papier spart.
Seit Beginn des Jahres gilt deutschlandweit die Bonpflicht, das heißt, der Einzelhandel muss bei noch so kleinen Beträgen eine Rechnung ausdrucken – auch wenn der*die Kund*in diese gar nicht möchte. Die Regelung reicht von Aldi, Rewe & Co. bis hin zum kleinen Bäcker von nebenan. Damit werden jeden Tag Unmengen an Papier unnötig entsorgt. Denn einer repräsentativen Umfrage von YouGov zufolge nimmt nur jede*r Zweite immer den Bon mit. Doch es gibt Hoffnung: Start-ups mit digitalen Alternativen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Wir geben einen Überblick.
Nur zwei Dinge auf Erden sind uns sicher: der Tod und die Steuer
Mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr gehen der Bundesrepublik durch Steuerhinterziehung jedes Jahr durch die Lappen. Das sagt eine Schätzung des Bundesrechnungshofs. Eben das sollte die bereits 2016 beschlossene Bonpflicht verhindern. Denn gerade in kleineren Betrieben wie Restaurants werden viele Buchungen gar nicht erst ordnungsgemäß in der Registrierkasse eingetragen, so zumindest die Argumentation von Befürworter*innen wie dem Bundesfinanzminister Olaf Scholz.
Die soziale Kontrolle sei die erste Hürde, die es zu meistern gilt. Denn jede*r bekommt beim Einkaufen mit, ob eine Quittung von dem*der Betreiber*in ausgehändigt wird oder nicht. Das führe dazu, dass Steuerhinterzieher*innen sofort arg viele Mitwisser*innen hätten. Der*die Kund*in muss den Bon zwar nicht mitnehmen, dennoch muss ein Ausdruck unaufgefordert angeboten werden.
Zudem enthält nach geltenden Vorschriften jeder Kassenbon die kryptographische Seriennummer einer technischen Sicherheitseinrichtung (TSE). Diese schaltet sich zwischen die einzelnen Instanzen des Kassensystems und schneidet alle eingegebenen Transaktionen mit. Diese Form von digitaler Signatur lässt nachträgliche Änderungen bei stichprobenartigen Tests sofort auffliegen, so die Hintergedanken der Politik. Doch Udo Stanislaus vom Deutscher Fachverband für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik (DFKA) erklärt gegenüber der Fachzeitschrift c’t, dass es technisch durchaus möglich wäre, den Kundenkontrollbildschirm der Kasseneinheit separat anzusteuern und so gleich gefälschte Informationen in den Speicher der TSE zu übertragen, ohne dass dies von Kund*innenseite erkennbar wäre.
Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen
Obwohl die Bonpflicht und damit verbundene technologische Umrüstungen bereits 2016 beschlossen wurden, zeigte sich erst Ende des letzten Jahres zunehmende Kritik. Zahlreiche Besitzer*innen von Kleinbetrieben klagten, dass der Erwerb neuer, teurer Kassensysteme unvermeidbar sei und dies in existenzbedrohlichen Summen ausarten würde. Zugleich beschwerten sich Umweltverbände. Dem Kölner Forschungsinstitut EHI zufolge würden pro Jahr rund 2,4 Millionen Kilometer zusätzliches Kassenpapier benötigt, das entspreche einer Fichte in der Stunde. Doch auch hier hört die Problematik noch nicht auf, zumal bei der Produktion von Thermopapier auch heute noch krebserregendes Bisphenol A zum Einsatz kommt, obwohl längst ausgereifte, gleichwertige Alternativen auf dem Markt sind. Aus diesem Grunde ist eine Entsorgung im Papiermüll nicht erlaubt, was zusätzlich das Klima belastet.
In zahlreichen Protestaktionen brachten Kleinbetriebe und politisch Andersdenkende ihren Unmut zum Ausdruck: Der Obsthof Siebengebirge teilte eine Bild auf Facebook, auf dem man alle nicht mitgenommenen Rechnungen der letzten Woche im ganzen Laden auf dem Boden ausgebreitet sah, zahlreiche Bäcker zogen nach und demonstrierten den Papierverbrauch in ihren Schaufenstern. Ein unübersehbares Zeichen setzte die FDP, die mit Lokalbetrieben Ende Januar insgesamt rund 500.000 Bons sammelte und vor dem Landtag auskippte.
Doch dass die Bonpflicht rückgängig gemacht wird, so wie die FDP es fordert, das ist noch lange nicht in Sicht. Solange bleibt nur, einen Blick über den Tellerrand zu wagen und auf digitale Alternativen zu setzen.
Die Branche wächst
Während digitale Quittungen gerade in Deutschland bis vor kurzem noch zu den Nischenprodukten zählten, tummeln sich momentan geradezu unzählige Anbieter*innen auf dem Markt. Doch trotz der unüberschaubaren Fülle an Lösungen, ist noch keine so richtig fertig. Erste bieten zwar schon ausgereift wirkende Apps an, doch letztendlich können diese auch nicht mehr oder weniger, als den*die Nutzer*in mit Sprüchen wie „Bald geht es los!“ zu vertrösten. Viele Anbieter*innen sprechen davon, schon jetzt millionenschwere Kooperationspartner*innen, sowohl aus den Reihen der Kassenhersteller*innen, als auch aus dem Einzelhandel im Boot zu haben, doch Namen nennen möchte zum jetzigen Zeitpunkt niemand.
Lösungen im Test
Prinzipiell gibt es drei Ansätze der Abwicklung. Ersterer sieht vor, dass der*die Kund*in einen QR-Code mit der App seiner*ihrer Wahl scannt. Das unterstützen die meisten modernen Smartphones ohne die Installation einer Drittanbieteranwendung. Im Anschluss wird er*sie auf eine Weboberfläche geleitet und hat verschiedene Möglichkeiten, die Quittung zu sichern. Zweiter Ansatz besteht darin, dass der*die Kund*in im Geschäft einen QR-Code vorzeigt, hinter dem sich seine E‑Mail-Adresse verbirgt, an die die Kasse dann die Rechnung schickt. Das erlaubt die App von eMail Bon. Das wohl ausgeklügelte Konzept sieht jedoch folgendermaßen aus: Der*die Kund*in scannt einen Code im Laden und verknüpft den Bon so mit seinem*ihrem Kundenkonto. In einer App können alle Rechnungen so durchsucht, archiviert und sortiert werden. Der Nachteil ist hier die Bindung an eine spezifische App. Gerade hier gibt es viele Konkurrent*innen, darunter die von uns getesteten anybill, epap, bon-online.de sowie SmartBon.
Welche Anbieter*innen sind schon am weitesten gekommen und haben aus unserer Sicht die Nase vorn? Wir stellen nachfolgend sechs Lösungen vor und schildern ihre Funktionsweise.
epap
Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass das junge Start-up epap aus Hannover sehr viel Wert auf die Ästhetik legt. Doch auch der funktionale Aspekt kommt nicht zu kurz: epap bietet das Nötigste, verzichtet aber auf unnützen Schnickschnack.
Zur Synchronisation der Quittungen kann ein Konto angelegt werden, das ist aber nicht zwingend erforderlich.
Neue Kassenbons werden hinzugefügt, indem man an der Kasse einen QR-Code zeigt oder die Papierbons abfotografiert respektive PDF-Rechnungen importiert. Alle teilnehmenden Händler*innen erscheinen auf der Startseite auf einer Karte, momentan hat epap augenscheinlich aber noch keine*n Kooperationspartner*in gefunden.
Für die Nutzung der eigenen App unterstützt epap verschiedene Projekte wie die Verbindung verbleibender Waldflächen durch Aufforstung in Brasilien und die Einbindung von lokalen Kleinbauer*innen in die Bekämpfung der Abholzung in Sambia Luanshya. Die Anzahl der Bäume, die der Anbieter für einen bisher gepflanzt hat, erscheint auf der Startseite der App.
Hinzugefügte Kassenbons können in verschiedene Kategorien wie Bücher, Büro, Drogerie, Garten oder Gesundheit einsortiert werden. Insgesamt 18 solcher Kategorien bietet epap von sich heraus. Sollte jedoch keine passende Kategorie zur Verfügung stehen, kann der*die Nutzer*in eine eigene hinzufügen.
Die Kategorisierung dient dazu, die Ausgaben gezielt tracken zu können. Am Ende des Monats stellt epap eine Übersicht bereit und visualisiert das eigene Kaufverhalten in verschiedensten Diagrammen, ein Export in die Haushaltsbücher fileee und Lexoffice ist möglich.
anybill
Die App anybill versteht sich als All-rounder. Neben den gängigen Features der Apps für digitale Kassenbons kommt anybill mit einer Funktion daher, die aktuelle Angebote anzeigt. Eine integrierte Funktion für mobiles Bezahlen ist nach eigenen Angaben bereits in Arbeit.
Praktisch erscheint zunächst, dass der QR-Code zum Hinzufügen von Rechnungen direkt auf der Startseite erscheint und kein weiterer Tipp erforderlich ist. Der analoge Import ist allerdings nur per Foto möglich. Direkt darunter erkennt man, welches „Level“ man hat: Dieses wird anhand der Anzahl der Rechnungen bestimmt. Beim „Aufsteigen“ pflanzt anybill gemeinsam mit der Trillion Tree Campaign einen Baum.
Auch anybill bietet eine Visualisierung des eigenen Kaufverhaltens, allerdings ist diese weniger ausgereift als wie bei epap. Ebenso ist eine Verknüpfung des Dienstes mit fileee und GetMyInvoices mit an Bord.
Zusammenfassend kann man sagen, dass anybill mit einer Fülle an Funktionen überzeugt, allerdings verglichen mit epap weniger Liebe ins Detail steckt. Die Angebote innerhalb der App, die Verknüpfung mit kotaktlosem Zahlen und der Accountzwang berechtigen Datenschutzbedenken. Ob der Anbieter diese Daten auch für personalisierte Werbung einsetzt, ist von außen heraus schwer zu beurteilen.
SmartBon
SmartBon operiert nach einem ähnlichen Prinzip wie die zuvor vorgestellten Anbieter*innen: auch hier werden die Quittungen anbieterübergreifend in einer App hinzugefügt.
Der Unterschied zu epap und anybill besteht allerdings darin, dass bei SmartBon der*die Nutzer*in den QR-Code scannen muss. Damit ein Geschäft auf das System umsteigen kann, ist also ein Kassensystem mit Display vonnöten.
Der Aufbau der App von SmartBon ist recht simpel gehalten: Beim Öffnen startet direkt ein QR-Code-Scanner. Über das Menü können die hinzugefügten Bons aufgerufen werden, tiefgreifende Analysefunktionen aber fallen bei SmartBon weg.
Eine Registrierung ist nicht möglich, sodass der Erfolg einer Datensammlung beschränkt wird. Zugleich bedeutet das aber auch, dass alle Rechnungen beim Wechsel auf ein anderes Gerät verloren gehen.
bon-online.de
Auch bon-online.de setzt auf ein Kassensystem, dass dem*der Kund*in einen QR-Code ausspuckt. Die App ist ebenso simpel aufgebaut, wie das bei SmartBon der Fall ist: Ein Haushaltsbuch fällt weg, eine Registrierung ist gar nicht erst möglich.
Unterscheiden von SmartBon tut sich die Lösung darin, dass beim Öffnen direkt die schon gespeicherten Quittungen dargestellt werden. Über einen Floating Action Button in der unteren Ecke des Bildschirmes erreicht der*die Nutzer*in den Scanner und kann über das Einlesen eines QR-Codes im Markt neue Bons hinzufügen.
bon-online.de ist neben SmartBon der einzige Anbieter im Test, der bereits jetzt mehrere Vertriebspartner*innen namentlich auf der eigenen Internetpräsenz aufführt und so bereits jetzt einen Nutzen für den*die Verbraucher*in hat.
eMail Bon
Auf ein ganz anderes Konzept als alle anderen zuvor erwähnten Dienstleister*innen setzt das Schönecker Unternehmen eMail Bon.
Beim ersten Start der Anwendung muss der*die Nutzer*in gleich seine*ihre E‑Mail-Adresse, oder wahlweise auch mehrere, eingeben – der Anbieter verspricht jedoch, dass diese nur lokal gespeichert wird und von diesem nicht an die eigenen Server geschickt wird.
Anschließend gibt die App einen QR-Code aus, hinter dem sich die eigene E‑Mail-Adresse verbirgt. Dieser wird im Handel von den Kassierer*innen eingescannt und man bekommt die Rechnung auf elektronischem Wege zugeschickt.
Weitere Organisationsfunktionen stehen also nicht zur Verfügung – nicht mal eine Anzeige der digitalen Quittungen in der App ist möglich. Nervig ist, dass die App beim Starten immer einen Splash Screen zeigt, der den ohnehin schon langsamen Start noch einmal künstlich verzögert.
bill.less
Vom Aufbau her wirkt bill.less ähnlich umfangreich wie epap und anybill. Um Rechnungen hinzuzufügen, wird aber das Scannen eines Codes durch den*die Nutzer*in fällig – ein ähnlicher Ansatz wie der von SmartBon und bon-online.de. Die Nutzung soll sowohl mit, als auch ohne ein Konto möglich sein.
Alle gescannten Belege können verschiedenen Kategorien zugeteilt werden, auch eine Tresorfunktion soll bill.less bekommen. Zudem ist die Anzeige aller teilnehmenden Handelsstandorte auf einer Karte möglich und es können Gutscheincodes zu diesen abgefragt werden. Ob eine Auswertung des eigenen Konsums bereitgestellt werden wird, dazu äußert sich bill.less auf der eigenen Internetpräsenz momentan noch nicht.
Einem genauen Test konnten wir die App aber noch nicht unterziehen, da diese bis Redaktionsschluss noch nicht zum Download bereitstand. Noch im laufenden Monat April möchte auch bill.less seine Anwendung in den App Store und auf Google Play bringen.
Bild: bill.less
Uniformität? Fehlanzeige!
An sich wirkt das Konzept digitaler Rechnungen erst einmal sehr progressiv, doch auf die richtige Umsetzung kommt es an. Für Kund*innen bleibt nur zu hoffen, dass sich ein*e Anbieter*in durchsetzt und alle anderen platt macht, denn für Uniformität interessieren diese sich aus berechtigten Interessen wenig. Ein quelloffenes System ist gefragt, dass es dem*der Kund*in erlaubt, selbst zu wählen, welche App ihm*ihr am besten gefällt. Doch die Realität sieht momentan eher anders aus: Jede*r kocht sein*ihr eigenes Süppchen und die Kund*innen müssen entweder mit zehn verschiedenen Apps hantieren, oder weiter Papierbons nutzen.
Was der Einzelhandel dazu sagt
Jedes noch so gute Konzept steht und fällt mit der Akzeptanz der Kooperationspartner*innen. Die EDEKA-Gruppe, zu der auch Netto gehört, setzt bereits seit Juli 2017 auf eine eigene App für mobile Endgeräte, die auch der Bereitstellung digitaler Kassenbons dient. Inwieweit Interesse an der Integration von Lösungen anderer Anbieter*innen besteht, dazu wollte sich der Konzern gegenüber uns nicht konkret äußern.
Auch REWE hat schon jetzt eine eigene App für digitale Rechnungen im Repertoire. Momentan ist eine Nutzung allerdings nur für solche Kund*innen möglich, die eine Payback-Karte an der Kasse vorzeigen, alle anderen bleiben bis dato außen vor. Im Gespräch mit uns teilte Presssprecher Andreas Krämer mit, dass REWE sich „bei entsprechender dauerhafter Resonanz [……] grundsätzlich vorstellen [kann], den Service auszubauen und zu prüfen, ob [REWE] diesen auch anderen Kundengruppen zugänglich machen [kann].“ PENNY als Tochter der REWE-Gruppe „erarbeitet derzeit die technischen und infrastrukturellen Voraussetzungen, um einen solchen Service perspektivisch anbieten zu können“.
Auch der Integration von Drittanbieterlösungen steht die Kette nicht abgeneigt gegenüber. REWE und Penny sähen die Attraktivität für Kunden, müssen aber auch berücksichtigen, dass sich eigene Lösungen individuell auf die eigene Infrastruktur zuschneiden ließen. Allerdings hat die REWE-Gruppe hier noch keine*n konkrete*n Anbieter*in im Blick. Wichtig sei, dass der Prozess an der Kasse nicht komplexer wird und keine neuen Anlagen erforderlich sind. Grundsätzlich zu bevorzugen sei das Konzept von eMail Bon, bei dem der*die Konsument*in seine*ihre E‑Mail-Adresse übermittelt, auszuschließen sei aber auch das Vorzeigen eines Codes nicht. Dass der*die Kund*in hingegen einen Code am Kassensystem scannt, lässt sich nach eigenen Angaben nicht umsetzen.
„Der Service REWE eBon wird von unseren Kunden gut angenommen. Bei entsprechender dauerhafter Resonanz können wir uns grundsätzlich vorstellen, […] zu prüfen, ob wir diesen auch anderen Kundengruppen zugänglich machen können. PENNY erarbeitet derzeit die technischen und infrastrukturellen Voraussetzungen, um einen solchen Service perspektivisch anbieten zu können.“
Andreas Krämer, Pressesprecher bei der REWE-Gruppe, gegenüber der Herderzeitung
Die Schwarz-Gruppe als Eigentümerin von Kaufland sowie Lidl und die Aldi-Gruppe reagierten bis Redaktionsschluss nicht auf unsere Anfragen.
Der Markt ist groß, die Zeit drängt
Welche der unzähligen Plattformen sich letztendlich durchsetzen wird, das lässt sich heute noch nicht sagen. Doch was sich sicher sagen lässt, ist, dass das Interesse der Kund*innenschaft und der Betreiber*innen geweckt ist und ein Katz- und Mausspiel zwischen den verschiedenen Anbieter*innen unabwendbar ist. Doch gerade das ist ein großer Vorteil für die Kund*innen, denn genau das treibt die Innovation an.