Babys, junge Frauen und Bier: Die neue Rechte präsentiert sich im Netz und auf Instagram anders als erwartet. Ein Selbstexperiment.
Brezeln und Weißbier, verdrehte Fakten und Hitler-Memes – das würde man vom Instagram-Feed eines modernen Neonazis erwarten. Doch der Schein trügt. Babys, junge Frauen und Landschaftsbilder sollen rechtsextremen Nachwuchs rekrutieren und sind dabei die erfolgreichste Form der Wahlwerbung. Ein Selbstexperiment.
von Simon Rösler und Tobias Donald Westphal
Die Rechten erobern das Netz und lassen ihren Ideologien auf Instagram freien Lauf. Das sagt zumindest eine Studie des Essener Recherchezentrums CORRECTIV. Über Tausend Konten haben die Kolleg*innen untersucht. Sie sind über Monate hinweg in die rechte Szene eingetaucht und haben diese in all ihren Facetten erlebt. Die Ergebnisse ihrer Recherchen sind schockierend.
Auf den ersten Blick stimmen die Bildinhalte rechtsorientierter Accounts nicht mit dem konventionellen Gedankengut patriotisch denkender Parteifunktionär*innen überein. Doch dem ist nicht so. Vorwiegend Kennzeichen neonazistischer Bewegungen treten bei ihren Bildern geschickt in den Hintergrund und fallen auf den ersten Blick oft gar nicht auf. Nur wer gezielt sucht oder Teil der Szene ist, erkennt Bezüge zur nationalsozialistischen Ideologie und damit Gleichgesinnte. Emojis, Abkürzungen und Symbole dienen als Erkennungsmerkmal in der Szene. Das können schwarz-weiß-rote Farbfolgen sein, die der Flagge des deutschen Reichs nachempfunden sind, das Kürzel .nds (für Neuer Deutscher Standard), aber auch Emojis von Brezeln und Weißbier-Krügen.
Zusammen, was nicht zusammengehört
Die Follower*innenschaft solcher Propaganda-Konten könnte im Detail unterschiedlicher nicht sein: Das breite Spektrum des rechts-konservativen und heimatverbundenen Denkens reicht von AfD-Anhänger*innen und Aktivist*innen der Jungen Alternative bis hin zu Angehörigen offen rechtsextremer Vereinigungen wie der Identitären Bewegung und anderen patriotischen Subkulturen. Doch genau auf bestimmten, überwiegend kommerziellen, Accounts laufen bemerkenswerterweise alle Fäden zusammen.
Es sind Merchandising-Shops, rechte Rapper und Kampfsportveranstaltungen: Auf diesen und weiteren Profilen mischen sich die gemäßigten, konservativen Patriot*innen – oft Parlamentarier*innen der AfD-Fraktionen – und stark extremistisch geprägte Rechte sowie Neonazis. Dabei baut sich eine schon nahezu fanatische Nähe zu diesen Knotenpunkten auf. Rechtsextreme, Patriot*innen und stark Konservative posieren mit T‑Shirts bestimmter Marken, identifizieren sich mit Hilfe dieser untereinander und kurbeln so die Monetarisierung rechter Kampagnen an.
Obwohl die Partei den Unvereinbarkeitsbeschluss nach eigenen Aussagen sehr ernst nimmt, treffen hochrangige Akteur*innen der Identitären Bewegung mit Spitzenpolitiker*innen der AfD nicht nur in den Follower-Listen dieser Verbindungsknoten aufeinander. Auch im echten Leben sind sich Mitglieder beider Organisationen bekannt. So ist etwa dem Bayerischen Verfassungsschutz bekannt, dass der Landesvorsitzende der AfD in Bayern Befürworter der Identitären Bewegung ist. Sie sei eine tolle Organisation, intelligent und habe Respekt verdient, äußerte sich Petr Bystron nach Angaben der Zeit. Die AfD solle ein Schutzschild für die Identitäre Bewegung sein, forderte er weiter. In nennenswertem Umfang dagegen vorgegangen ist die Partei bis heute nicht. Zwar hat der AfD-Bundesvorstand ihn in Folge medialen Drucks abgemahnt. Noch im gleichen Jahr kandidierte er aber für die Bundestagswahl 2017 ohne unmittelbare Folgen.
Kinder, Küche, Konservativ
Eine besondere Rolle in der Szene nehmen auch Frauen ein. In ausgeprägten Geschlechterrollen posieren sie in der Natur oder am Küchentisch und übermitteln so den Eindruck einer friedfertigen, naturverbundenen und traditionellen Grundeinstellung. „Die Frauen werden als Aushängeschild benutzt“, erklärt eine Aussteigerin den Kolleg*innen von CORRECTIV. Junge Influencerinnen seien für das Image vorgestellt. Die eigentlichen Inhalte liefen dann über private Konten und Storys, die nur für “Enge Freunde” sichtbar sind. Längst ist den Verantwortlichen aufgefallen, dass Lifestyle-Inhalte besser klicken als harte Fakten. Menschen folgen lieber starken Persönlichkeiten als Unternehmen. Deswegen werden auch die Frauen gezielt zur Illustration alt-konservativer Mentalitäten instrumentalisiert. Politischer Aktivismus wird zum Lifestyle gemacht. Wie das geht, lernen Influencerinnen und solche, die es werden wollen, in verschiedenen Workshops.
Auf den ersten Blick scheinen diese Konten recht belanglos. Erst bei genauer Beobachtung erkennt man, dass sie alle wichtige Bestandteile eines funktionierenden, sich ständig weiterentwickelnden rechtsextremen Netzwerks sind. Das Akquirieren neuer Mitglieder steht dabei an vorderster Stelle. Gegenüber CORRECTIV bestätigt ein Vorstandsmitglied der Jungen Alternative Berlin, der Jugendorganisation der AfD, dass der Landesverband mittlerweile die Hälfte seiner Neuzugänge, vor allem junge Menschen, über Instagram gewinne. Unterschreiben wollte uns das die Alternative für Deutschland auf Anfrage nicht, gleiches gilt für die Neuzugänge beim eigenen Bundesverband. “Kein Kommentar”, teilte uns die Partei schriftlich mit. Telefonisch erklärte uns ein Pressesprecher: “Wir misstrauen Correctiv.” Die Aussagen richtigstellen wollte man aber nicht, wieder hieß es “Kein Kommentar”.
Und jetzt wir
Auch wir haben den Selbstversuch gestartet und sind mit einem Fake-Account eine Woche lang in die rechte Szene eingetaucht mit dem Ziel, möglichst viele Kontakte zu knüpfen und einen Eindruck darüber zu bekommen, wie die unbewusste Rekrutierung rechter Parteien über soziale Medien funktioniert. 200 Konten und zwanzig Hashtags sind wir dafür gefolgt, haben auf Storys reagiert und rechte Propaganda weiter geteilt. Bis dato folgen uns knapp 50 Konten, mit 29 haben wir geschrieben.
Das erste, was auffällt: Auf der Stelle verändern sich die Inhalte unserer Entdecken-Seite. Nach nur wenigen Stunden finden sich dort nur noch Beiträge wieder, die mit konservativem oder rechtsradikalem Gedankengut unterfüttert sind. Medienwissenschaftler*innen bezeichnen diesen Effekt als Filterblase. Die Algorithmen sozialer Netzwerke neigen oft dazu, nur Inhalte zu zeigen, die der ursprünglichen Auffassung der Nutzer*innen entsprechen, um diese an ihre Dienste zu binden. Das Problem dabei: Internetnutzer*innen werden immer in ihren Ansichten bestätigt. Andere Meinungen blendet der Algorithmus gezielt aus und schränkt so den politischen Diskurs ein.
Ein ganzes Netz ohne Anstand und Gesetz
Nicht mal einen Tag hat es gedauert, bis uns die erste Seite anschrieb, ob man sie nicht unterstützen könne. Wir werden aufgefordert, Werbung für die Seite in unserem Umfeld zu machen, werden in andere Medien eingeladen. Auf Telegram und WhatsApp tausche sich die Community bereits intensiv aus, weitere Kanäle befänden sich bereits im Aufbau. “Es gibt uns auf den großen Seiten – Insta, Facebook, WhatsApp, Twitter, Telegram, Youtube und Tiktok. Wenn du möchtest, kannst du auf einer oder mehreren Seiten bei uns Mitglied werden”, bewirbt einer der Seiten-Administratoren sein Angebot per Sprachnachricht. Rainer (Name geändert*) heißt er, wie wir später erfahren. Weiter erklärt er: “WhatsApp ist zum Beispiel sehr zu empfehlen. Bei WhatsApp ist es jetzt so, dass da auch viel privat geschrieben wird, aber natürlich auch Politik im Mittelpunkt steht. Da kann man sich gut mit anderen Patrioten vernetzen.”
Schnell wird uns klar, dass mehr dahinter steckt als nur ein Anhänger, der sein Dafürhalten zum Ausdruck bringt. Ein Insider erklärt uns nach kurzer Zeit: “Es sind nicht nur meine Ideen. Ich habe ein wirklich tolles Vorstandsteam, dass mir auch in wirklich schwierigen Situationen den Rücken gestärkt hat.” Die Szene ist vernetzt, leistet organisierte Überzeugungsarbeit. Sie intendiert, über immer mehr Medien weitere Menschen auf ihre Seite zu ziehen. “Youtube kommt. Das Konzept für YouTube ist, dass es da einen Podcast geben wird für Patrioten. Dass es da auch die Möglichkeiten geben wird für Opfer der schrecklichen Flüchtlingspolitik ihre Geschichte zu erzählen.”
“Wir schaffen das” kostet
Wir gehen auf Rainers Angebot ein, betreten mit einer neuen Telefonnummer die WhatsApp-Gruppe. Zunächst lädt er uns in eine sogenannte Vorgruppe ein. Wir sollen uns vorstellen, werden zu unserer Parteizugehörigkeit sowie unseren Ansichten über Corona befragt. Schlussendlich stimmen die Administrator*innen ab, ob wir in die eigentliche Gruppe dürfen. Unserem Antrag wird stattgegeben.
So befinden wir uns plötzlich inmitten einer kontroversen Diskussion über deutsche Namen. Ein Mitglied der Gruppe mit einem türkisch scheinenden Namen fühlt sich diskriminiert. Drei andere hetzen gegen ihn, bis sich eine Debatte über die Definition von Heimat entwickelt. Wir sind geschockt, schauen erstmal nur passiv zu.
In der Gruppe herrschen strikte Regeln. Offiziell werden keine Hitler-Bilder und keine Drogen toleriert. Ein dunkelhäutiges Mitglied sei geflogen, weil es sich nicht daran gehalten habe. Bis heute machen sich viele darüber lustig. Außerdem gilt: Wer “Wir schaffen das” schreibt, muss einen Euro in die Gruppenkasse einzahlen.
Am Ende des Streits hat keine*r Recht
Später am Abend sendet eine Nutzerin den Link zu einem Video des AfD-Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio, der über die deutsche Justiz spricht. Er kritisiert Schuldsprüche, die in seinen Augen “Skandalurteile” darstellen. Die Reaktionen auf jenes Video wirken verstörend, ein Gruppenmitglied schreibt: “Wisst ihr, was jene Schlampe von Richterin gesagt hat? Dass ein härteres Urteil den Mann auch nicht lebendig macht. Könnt ihr euch eine schlimmere Verhöhnung des Opfers vorstellen? Keine Gefühle, keine Skrupel, keine menschliche Seite! Teufelin.”
Für weiteres Aufsehen sorgt ein Meme über Asylant*innen in Deutschland. Es bestätigt sich, worauf wir schon gewartet hatten. Der erste User schießt verbal gegen Flüchtlinge: “Das absolut Letzte! Wenn Menschen von anderen bezahlte und aufgebaute Flüchtlingsheime mutwillig niederbrennen, um ein besseres zu fordern, gehört ihnen nicht geholfen.” Er fordert, dass diese “Mistschweine” in ein Segelboot gesteckt werden – und dorthin zurückfahren sollen, wo sie herkommen. Die wohl befremdlichste Diskussion, die wir bisher miterlebt haben.
Hier ist Rainer mit der Tagesschau
Jeden Abend verliest Rainer “die Nachrichten”. Per Sprachnachricht müssen sich alle anhören, was in der Welt passiert ist. Verlesen werden nicht etwa Artikel renommierter Tageszeitungen wie dem Tagesspiegel, der WELT und dem Spiegel. Stattdessen handelt es sich ausschließlich um Berichte uns unbekannten, nicht sehr verlässlich anmutenden Ursprungs. Die Thesen sind allesamt sehr gewagt. Sie haben gemein, dass sie die patriotische Ideologie in irgendeiner Weise bestätigen. Interessieren tun sich die anderen dafür aber wenig, reden nach Lust und Laune weiter, statt auf Rainers Audios zu reagieren. Dieser wird wütend und mahnt die anderen, erst den Nachrichten zu Ende zuzuhören.
Wir hätten nie gedacht, dass es so schnell gehen kann und wir noch an diesem Tag den ersten Durchbruch landen sollten. Willkürlich gewählt gaben wir uns als Jan Kuhne aus. Das Glück sollte mit uns sein. Ein anderer Nutzer trägt nämlich tatsächlich diesen Vornamen und baut mit uns im Privatchat ein Gespräch auf. “Bist du AfD oder NS?”, will er wissen. Offiziell ist Gedankengut Hitlers nach den Gruppenregeln untersagt. Wir sind noch unentschlossen, welche Partei die richtige ist, antworten wir ihm. Dann geht es erst richtig los: Er möchte wissen, ob wir ein Arier sind. Er habe blaue Augen und blonde Haare und ist sichtlich stolz darauf: “Gibt nur noch wenige von uns. Ich will auch später mit einer arischen Frau mindestens vier Kinder. Gegen den Volkstod.”
Geht es um politische Gegner*innen, zeigt die Gruppe gar keinen Anstand. Es wird gern und radikal geschossen. Das merken wir sofort. So heißt es über die Grünen und Anhänger*innen der Fridays for Future-Bewegung, sie seien verblödet und wüssten nicht, wie Fortpflanzung funktioniert. “Ich bin ja am Nachdenken, ob man nicht für solche Leute über ein Verbot des Kinderkriegen nachdenken sollte.” Es ist schon spät und wir haben genug gesehen. Wir schalten unser Telefon ab und versuchen zu verarbeiten, was passiert ist.
“Das ist halt viel Propaganda”
Am nächsten Tag kommen wir mit Rainer, dem Hauptadministrator der Gruppe, tiefer ins Gespräch. Er war es, der die Gruppe gegründet hat und uns auch eingeladen hat. Er sagt, er sehe sich als eine Art politischen Influencer, plane nächstes Jahr in die AfD einzutreten. Wir schreiben noch etwas. Dann gibt er zu: “Das ist halt eben viel Propaganda, was du da machen musst. Also jeden, der die Seite likt, schreibe ich an. Man freut sich dann immer, wenn das mal funktioniert.” Das sind um die zwanzig Nutzer*innen am Tag. So ist er auch bei uns vorgegangen. Jetzt sind wir in dieser Gruppe.
Nicht immer macht die Arbeit Spaß, erzählt Rainer weiter. “Mir war klar, dass ich Stress mit der Antifa bekommen würde und damit konnte ich auch ganz gut leben. Aber das Meiste an Stress haben wir mit anderen patriotischen Seiten.” Das haben wir schon am Vortag gemerkt, als der Abkömmling einer vorherigen gemeinsamen Seite mit Rainer die WhatsApp-Gruppe hackt. Andauernd treten neue Personen der Gruppe per Einladungslink ein. Diesen einfach zurückzusetzen, hilft nicht. Immer und immer wieder treten neue Personen der Gruppe bei und lassen ihrem Unmut freien Lauf. Sie schicken Sticker, in denen sie Rainer mit seiner Vergangenheit konfrontieren. “Was da alles abgelaufen ist. Wenn ich dir das erzähle, da denkst du, ich hätte einen an der Klatsche”, schreibt er uns.
Homophob, aber nichts verstanden
Gegen Abend werden wir Zeugen einer Diskussion über Homosexualität, die wir so vorher nicht für möglich gehalten hätten – fernab von jeglichem Realitätsbewusstsein. Auf die Frage, welche Einstellung die Gruppe eigentlich zu homosexuellen Paaren habe, kommen die verstörendsten Antworten. “Es ist unnatürlich! Es heißt Adam und Eva. Und nicht Hans und Peter!”, schreibt eine Nutzerin. “Es ist gegen die Evolution”, eine andere. Auch Rainer, mit dem wir kurz vorher noch ein sachliches, fast schon freundliches Gespräch führten, sagt wörtlich: “Ich finde Homosexualität unnormal und könnte mir auch nicht vorstellen, mit solch einer Person Kontakt zu haben.”
Dann kommt der Kracher: “Das eigentliche Problem ist die Verschwulung der Gesellschaft. Wir haben eine Frühsexualisierung der Kinder, das ist einfach nicht in Ordnung!”, schreibt ein weiterer Nutzer. “Denn sowas ist heutzutage Trend, sich einer Gender-Community anzuhängen.” Die Ansichten der Gruppe gehen auseinander. Manchen ist egal, “was die im Bett treiben”. Was sie aber störe, ist die LGBT-Bewegung. Andere haben das Thema nicht einmal im Ansatz verstanden: “Mein Vater sagt immer, bei den ‘Männern’ liegt es an den Eltern. Wo er recht hat: Durch zu starkes Vertätscheln der Mütter kann man schwul werden.” Ein Nutzer schreibt, Tiere seien ja auch nicht schwul. Eine Studie zu diesem Thema kontert er mit: “Es liegt daran, dass die Tiere so gezüchtet wurden. […] Schwulsein ist eine Krankheit!”
Klare Regeln – eigentlich
Eigentlich hat Instagrams Mutterkonzern Facebook auf allen seinen Plattformen klare Richtlinien. “Instagram ist kein Ort, um […] Hassgruppen zu unterstützen”, heißt es etwa in denen von Instagram. Zu den unzulässigen Inhalten zählen neben allen Formen von Aufrufen zu Gewalt aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, nationaler Herkunft oder religiöser Zugehörigkeit auch verbotene Organisation, daunter gewaltbereite, rechtextremistische Vereinigungen: “Wir verbieten Personen und Gruppen wie die Identitäre Bewegung und Defend Europe, die sich an organisiertem Hass und organisierter Gewalt beteiligen und wir entfernen Inhalte, die sie unterstützen oder vertreten”, erklärt ein Facebook-Sprecher dazu gegenüber der Herderzeitung.
Suchergebnisse für zu diesen Gruppen zugehörige Hashtags werden ebenfalls ausgeblendet. Der Hashtag #heimatverliebt hingegen ist weiterhin zulässig, da er nicht in Zusammenhang mit verbotenen Gruppen steht. Trotzdem konnten wir viele Verbindungen zu rechtsradikalen Gruppen in Beiträgen unter diesem Hashtag erkennen, gegen die Instagram nur vereinzelt vorgeht.
Mensch und Maschine
Verstöße gegen seine Richtlinien versucht Instagram über eine Kombination aus menschlicher Überprüfung und Technologie ausfindig zu machen. Weltweit besteht Facebooks Löschteam aus 15.000 Mitarbeiter*innen, 350 davon konzentrieren sich auf die Verfolgung terroristischer und rechtsextremer Inhalte und sind in Hinblick auf die Symbolik und Sprachtendenzen extremistischer Gruppen extra geschult. Weiterhin arbeitet Facebook nach eigenen Angaben mit externen Expert*innen zusammen, um Gewalt und Hassrede auf seinen Plattformen konsequent zu erfassen. So wurden auch von CORRECTIV gemeldeten Inhalte geprüft.
Gleichermaßen setzt Facebook autonome Technologien ein, um extremistische Inhalte zu erkennen. Eine Bilderkennungssoftware soll die Symbole radikaler Gruppierungen erkennen, darunter Hakenkreuze und das Sonnenrad. Inhalte, die einmal gelöscht wurden, werden fortan schon beim Upload blockiert. Das gelingt über einen Hashwert, eine Art digitalen Fingerabdruck für Dateien, den Facebook auch mit anderen Internetkonzernen wie Google und Twitter teilt.
Ein löchriges System
Obwohl Facebook angibt, im zweiten Quartal dieses Jahres 220.000 Beiträge im Zusammenhang mit organisierter Gewalt aufgedeckt zu haben, findet die Szene immer wieder neue Tricks, um diese Filter zu umgehen. Mit unkenntlich gemachten Bildern und Hinweisen wie “Dieses Bild wurde verpixelt, weil es gelöscht werden könnte” versucht sie, ihre Follower auf den Messenger Telegram zu locken, der bekanntermaßen sehr nachlässig mit rechtsradikalen und kriminellen Inhalten umgeht. “Wir arbeiten an der Verbesserung unserer Technologien, um diese Inhalte noch schneller zu finden. Zudem verfolgt unser Expertenteam ständig neue Trends”, sagt uns ein Unternehmenssprecher von Facebook.
Hohes Potential
Ständig entwickelt sich die Vernetzung starkkonservativer Gruppen weiter. Instagram dient dabei als ein zentraler Ort des Austauschs, des Zusammentreffens. Das ist keine neue Erscheinung. Schon lange fokussieren sich Rechtsorientierte auf das Internet: “Soziale Netzwerke dienen der rechtsextremistischen Szene als Aktionsraum, um mit Gleichgesinnten zu kommunizieren, sich zu vernetzen sowie Propaganda zu verbreiten”, ist auch dem Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt.
Doch nicht nur bestehende Rechte tauschen sich auf Instagram aus. Auch um neue Unterstützer*innen wirbt die Szene aktiv auf Instagram. Gerade soziale Medien haben für rechte Organisationen bei der Rekrutierung von jungen Wähler*innen einen hohen Stellenwert. Die Inhalte, vor allem Bilder, sind oft direkt an junge Nutzer*innen adressiert oder diese werden aktiv per Direktnachricht kontaktiert, wie es auch bei uns der Fall war. Vor allem Erstwähler*innen kommen so das erste Mal mit rechtsextremistischen Inhalten in Berührung und werden okkasionell selbst zu überzeugten Patriot*innen.
Gerade auf Plattformen mit audiovisuellem Fokus sei die Informationsdichte besonders hoch, sodass es für Plattformbetreiber*innen schwierig ist, unerlaubte Inhalte zu löschen, erklärt uns das Bundesamt für Verfassungsschutz. “Bei populären Internetplattformen, auf denen überproportional viele junge Menschen aktiv sind, besteht die Gefahr, dass Jugendliche mit rechtsextremistischem Gedankengut in Berührung kommen könnten”, warnt ein Pressesprecher. “Soziale Medien haben grundsätzlich das Potenzial, Jugendliche auf dem Weg zu einer Radikalisierung zu beeinflussen.” Dessen sind sich auch die politisch Verantwortlichen bewusst. Informationen des Verfassungsschutzes zufolge hat haben sowohl die Zahl als auch die Reichweite rechtsextremistischer Inhalte stark zugenommen.
Es lebe die Demokratie
In der letzten Woche haben wir erlebt, was es heißt, rechtsextrem, starkkonservativ und nationalistisch zu sein. Wir haben Meinungen gehört, wir haben Beiträge gesehen und Nachrichten gelesen, die für uns als junge Europäer zutiefst spaltend, befremdlich und teilweise einfach nur falsch klingen. Dieser Einblick in eine Welt, in der ein Deutscher mehr wert sein soll als ein Flüchtling aus Syrien, in der Homosexualität, eigentlich die gesamte LGBTQIA+*-Bewegung, als Krankheit verstanden wird, in der auf ein antieuropäisches Deutschland und Abschottung gesetzt wird und in der Weltbilder des 19. Jahrhunderts für richtig empfunden werden, dieser Einblick hat uns gezeigt, dass es sich lohnt, für das Richtige einzustehen.
An jeder Stelle und mit zunehmender Relevanz auch im Netz muss man Hass und Hetze, menschenverachtenden und antidemokratischen Anschauungen entschieden mit aller Härte entgegentreten. Demokratie ist nicht bedingungslos, man muss für sie einstehen. Wenn rechtsextreme Gruppen sich auf Instagram ausbreiten, nationalistische Ansichten verbreiten und die Axt an die Wurzel der Grundrechte anlegen, dann muss man sich dagegen stemmen – für das, was einige als selbstverständlich ansehen.
Wir möchten mit diesem Artikel zeigen, dass Europa, die Europäische Union und Deutschland in ihrer Rolle mehr sind als nur stupide Begriffe. Die Werte der Europäischen Union, so beschreibt sie sich selbst, sind Frieden, Menschenwürde, Freiheit und eben auch Demokratie. Eine lebendige Demokratie ist von unschätzbarem Wert. Diese sollten wir unbedingt aufrechterhalten.
*Die erwähnten Personen heißen nicht wirklich so. Wir haben uns entschieden, ihre richtigen Namen nicht zu veröffentlichen, um ihre Persönlichkeitsrechte zu schützen und nicht über Einzelpersonen auf das Problem aufmerksam zu machen.