Ein Bot­schaf­ter steht Rede und Ant­wort auf Fra­gen, die die Welt beschäftigen.

Unse­re Rei­he „Aus ande­ren Blick­win­keln“ wer­den wir dies­mal mit einem Inter­view mit Neithart Höfer-Wis­sing fort­füh­ren, dem jet­zi­gen Bot­schaf­ter Deutsch­lands in Turkmenistan.

Bei „Fridays for Future“ verzichten manche Schüler*innen jeden Freitag auf ihre Bildung, um für die Klimarettung zu demonstrieren. Was halten sie davon?

Demonstrant*innen bei „Fri­days for Future“

Im Prin­zip mag ich sol­che Aktio­nen, denn Pro­vo­ka­tio­nen gehö­ren zum Leben dazu. Das Anlie­gen hat durch­aus sei­ne Berech­ti­gung: Das sehen wir, es hat sich her­um­ge­spro­chen. Die Flam­me des Enga­ge­ments ist wich­tig, poli­ti­sches Enga­ge­ment zu ler­nen ist wich­tig. Es liegt viel und hart­nä­cki­ge Arbeit vor uns. Alt­mo­di­sche Beleh­run­gen, dass man die Schu­le nicht schwän­zen soll, gehen an der Lebens­wirk­lich­keit vor­bei. In unse­rem Alter haben wir ähn­li­che Din­ge getan, ohne dass es ernst­haf­te oder gar irgend­wel­che Kon­se­quen­zen hat­te. Aber es ist auch wich­tig zu wis­sen, dass es kein Leben ohne Kom­pro­mis­se gibt. Wie beim Fall der Ber­li­ner Mau­er bringt jede Ver­än­de­rung Gewin­ner und Ver­lie­rer und oft sind die Ver­lus­te kon­kret und heu­te, wäh­rend die Gewin­ne abs­trakt und mor­gen sind. Natür­lich soll­te man das nicht immer tun und schon gar nicht als Aus­re­de für den Schul­ab­bruch nut­zen. Aber ich glau­be, dass die Jugend­li­chen selbst wis­sen, wo die rich­ti­ge Balan­ce zwi­schen dem Ler­nen und dem Schul­schwän­zen liegt.

Glauben sie, „Fridays for Future“ hat das Potenzial, politisch etwas zu verändern?

Nur „Fri­days for Future“ wird nichts ändern, aber es ist ein wich­ti­ger Stein, um ein neu­es Bewusst­sein zu schaf­fen und not­wen­di­ge Ver­än­de­run­gen anzu­ge­hen. Unse­rer heu­ti­gen Gesell­schaft man­gelt es oft an einem gemein­sa­men Ver­ständ­nis. Dabei sind die Fak­ten unum­strit­ten: Wir ver­brau­chen mehr Res­sour­cen, als uns Pla­net Erde geben kann. Wir machen Raub­bau an unse­ren Lebens­grund­la­gen. Es muss sich etwas ändern, wir müs­sen umsteu­ern. Von die­sem Hin­ter­grund soll­te man sich nicht ent­mu­ti­gen las­sen, wenn man am Anfang steht, wenig Ein­fluss hat und viel Gegen­wind ins Gesicht weht. Wenn man sagt, was jeder sagt, dann ändert sich nichts.

Um beruflichen und persönlichen Erfolg zu erzielen, auf was sollte man unbedingt achten?

Mei­ne Erfah­rung ist, dass ich das gut gemacht habe, was ich ger­ne tat. Natür­lich muss man dabei auf ande­re Rück­sicht neh­men. Lau­ter Krach um Mit­ter­nacht, nur weil es einem Spaß macht, bringt nichts für die per­sön­li­che Ent­wick­lung und ist kein Bei­trag für ein glück­li­che­res Leben. Bei der beruf­li­chen Aus­bil­dung soll­te man das machen, was einen wirk­lich inter­es­siert. Geld allei­ne macht nicht glück­lich. Nur ler­nen oder stu­die­ren, weil es einem die Eltern sagen, reicht nicht. Ich erin­ne­re mich an eine Prak­ti­kan­tin in einem Ärz­te­haus. Sie saß krumm und unmo­ti­viert auf ihrem Stuhl und war eher eine Pati­en­tin als eine Unter­stüt­zung. Zur Berufs­wahl gehört auch Kom­pro­miss­be­reit­schaft. Nicht jeder Traum kann in Erfül­lung gehen. Wenn ich sehe, wie vie­le jun­ge Leu­te Betriebs­wirt­schaft stu­die­ren, nur um ein­mal als Invest­ment­ban­ker reich zu wer­den, dann kann man an fünf Fin­gern aus­rech­nen, dass dies nicht in Erfül­lung geht.

Welche politischen Themen werden Ihrer Meinung nach zu oft beziehungsweise zu selten angesprochen?

Wir haben seit Jahr­zehn­ten eine ehr­li­che Dis­kus­si­on über die Migra­ti­ons­fra­ge gescheut. Es gibt Leu­te, die sagen, dass wir kein Ein­wan­de­rungs­land sind. Die Zah­len zei­gen, dass dies zumin­dest in den letz­ten vier­zig Jah­ren falsch ist, wenn man nicht noch viel wei­ter in die Geschich­te zurück­ge­hen will. Ande­re sagen, dass wir kei­ne Schran­ken haben dür­fen, allein auf­grund der dunk­len Fle­cken in unse­rer Ver­gan­gen­heit. Bei­den Lagern ist gemein, dass sie sich der poli­ti­schen Inkor­rekt­heit bezich­ti­gen. Das hat den ergeb­nis­of­fe­nen Aus­tausch erschwert. Die Kon­se­quen­zen zei­gen sich dann in Ereig­nis­sen wie der Sil­ves­ter­nacht 201819 in Köln. Danach gelang ein Dis­kurs, der offe­ner und ehr­li­cher war. Von Län­dern wie Kana­da, Öster­reich und Schwe­den kann man noch viel lernen.

Die Mas­sen­me­di­en the­ma­ti­sie­ren oft die klas­si­schen The­men, um über die Run­den zu kom­men. Ein zyni­scher Chef­re­dak­teur könn­te Tie­re, Sex oder Hit­ler nen­nen. Manch­mal läuft es gut, manch­mal nicht. Ein Feh­ler ist es, wenn man sich mit den sozia­len Medi­en eine eige­ne Echo­kam­mer ein­rich­tet und nur das liest, was einem in das eige­ne Welt­bild passt. Für mich ist ein brei­tes Spek­trum an Mei­nun­gen unent­behr­lich. Ich lese täg­lich meh­re­re Zei­tun­gen, die­se Zeit muss ich mir ein­fach nehmen.

Soziale Netzwerke übermitteln viele Informationen und Meinungen. Sie haben einen großen und wachsenden Einfluss auf die Wahrnehmung der Menschen und die Politik. Was sind Ihrer Meinung nach die Vorteile und Nachteile?

Sie sehen ja, ich bin ein alter Kno­chen. Ich kann mit die­sen Sachen nicht viel anfan­gen. Sie wer­den mich auf kei­nem die­ser Din­ger fin­den. Manch­mal bin ich auch der Mei­nung – sein Sie jetzt nicht belei­digt – dass das Platt­for­men von Idio­ten für Idio­ten sind. Das stimmt viel­leicht nicht, aber Zyni­ker sagen schon, dass sie zur Volks­ver­dum­mung bei­tra­gen. Der Bun­des­prä­si­dent sag­te einst, dass man in 140 Zei­chen nicht die Welt erklä­ren kann. Gut, heut­zu­ta­ge sind es 280, aber das ist eigent­lich auch egal. Oft ist das, was auf die­sen Platt­for­men abläuft, in mei­nen Augen nied­rigs­ter Stamm­tisch, nur mit dem unan­ge­neh­men Neben­ef­fekt, dass es nicht am Stamm­tisch bleibt. Es ist dann eine beschleu­nig­te und anony­me Gerüch­te­kü­che. Das kann so weit gehen, dass Leu­te in aller Öffent­lich­keit fer­tig gemacht wer­den und dar­un­ter lei­den. So beim Anschlag in Lim­burg. Den Poli­zis­ten wur­de sofort vor­ge­wor­fen, ver­sagt zu haben. Dabei brauch­ten sie ein­fach Zeit, um zu ver­ste­hen, ob es ein Ter­ror­an­schlag war oder nicht. Ich glau­be, in die­sem Fall hat die Poli­zei alles rich­tig gemacht. Gera­de jun­ge Leu­te haben das Pro­blem, dass sie mit Infor­ma­tio­nen kon­fron­tiert wer­den, die für sie eine ande­re Wich­tig­keit haben als bei­spiels­wei­se für mich, der nun schon etwas auf­ge­klär­ter und abge­klär­ter ist.

Wenn man in einem Gespräch etwas Fal­sches sagt, dann kann man sich raus­re­den. Wird etwas get­weetet, dann sieht es sofort die gan­ze Welt. Ich emp­feh­le mei­nen Kol­le­gen immer, bei einer schwie­ri­gen E‑Mail eine Nacht zu schla­fen, weil man dann weni­ger emo­tio­nal denkt und han­delt. Frü­her hieß es: „Ich den­ke, also bin ich.“ Heu­te ist das Gebot eher: „I spam so I am.“

Aber die sozia­len Medi­en haben auch ihre guten Sei­ten. Als die Schwei­zer ihren Bun­des­rat eröff­ne­ten, star­te­ten Frau­en über die sozia­len Medi­en eine Kam­pa­gne. Unmit­tel­bar gab es zwar kaum Ände­run­gen, aber ein neu­es Bewusst­sein ent­stand. Das macht schon einen Unter­schied. Ich gebe zu, in die­sen Fra­gen sind sozia­le Medi­en ein­fach klasse.

Zu den eher dunk­len Sei­ten gehört, dass eini­ge Per­so­nen es gelernt haben, über die sozia­len Medi­en gezielt Emo­tio­nen bei den Lesern zu erzeu­gen. Man soll­te schon dar­auf ach­ten, ob man nicht mani­pu­liert wird. Aber um sol­che Mecha­nis­men zu erken­nen, braucht man vor allem Erfah­rung. Intel­li­genz allein reicht nicht. Daher bin ich auch dafür, dass die Anony­mi­sie­rung im Inter­net auf­ge­ho­ben wird. Man soll für sei­ne Mei­nung ste­hen und sich nicht durch die neu­en tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten ver­ste­cken kön­nen. Allein ein sol­cher Schritt wür­de eine Unmen­ge an Pro­ble­men mit den neu­en Medi­en lösen. Wie lau­tet der Spruch: Frei­heit hört dort auf, wo man die Frei­heit ande­rer beein­träch­tigt. Ist man anonym im Inter­net unter­wegs, hat man viel Frei­lauf. Man­che miss­brau­chen dies, beneh­men sich wie die letz­te Sau, ohne dafür Kon­se­quen­zen zu tra­gen. Dies trifft auch für Nut­zer zu, die bewusst ande­re mob­ben, ohne die Aus­wir­kun­gen ihres Han­delns zu berück­sich­ti­gen oder zur Rede gestellt zu werden.

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