Wür­det ihr in ein bren­nen­des Haus ren­nen? Nun, genau das machen wir mit der Schul­öff­nung gerade.

Hur­ra, hur­ra! Die Schu­le ist wie­der offen. Fan­tas­tisch, wir freu­en uns alle. Werft das Kon­fet­ti und holt den alko­hol­frei­en Sekt raus. Jetzt wird gefei­ert: End­lich wie­der Prä­senz­un­ter­richt. Das kann nur eine gute Ent­schei­dung sein, oder? Fin­den wir es heraus.

Bambusleitungen und ein einsamer Vogel

Inner­halb der letz­ten Mona­te ist es wohl den Meis­ten auf­ge­fal­len: Home­schoo­ling ist immer noch gar nicht so lus­tig wie wir im März des letz­ten Jah­res gedacht hat­ten. Trotz klei­ne­rer Ver­bes­se­run­gen der Lern­um­stän­de beglei­ten uns alle tag­täg­lich Pro­ble­me wie eine schlech­te Inter­net­ver­bin­dung, Lade­feh­ler, ein pene­tran­tes Huhn, was sich über feh­len­de Ver­bin­dung zum Ser­ver beklagt, und Video­kon­fe­ren­zen. (Es gibt bei uns kei­ne kom­pli­ka­ti­ons­frei­en Video­kon­fe­ren­zen. Wer das behaup­tet, der*die lügt.)

Das Internet ist für uns alle Neuland

Es scheint fast so, als hät­te Deutsch­land Nach­hol­be­darf, was das The­ma Digi­ta­li­sie­rung in Schu­len betrifft. Aber nein, wir sind doch super auf­ge­stellt mit unse­ren (teils kaput­ten) Smart­boards und zwei­ki­lo­schwe­ren Schlepp­tops. So kön­nen wir auch rich­tig gut die Schüler*innen auf­fan­gen, die von zu Hau­se aus nicht die per­fek­ten Rah­men­be­din­gun­gen haben. Einen eige­nen, ver­hält­nis­mä­ßig neu­en Com­pu­ter, gutes WLAN und ein eige­nes Zim­mer: Nicht jede Fami­lie, gera­de bei meh­re­ren Kin­dern, kann sich das leisten. 

Die neuen Leiden des jungen W.

Die aktu­el­le Situa­ti­on ver­ur­sacht eine gro­ße men­ta­le Belas­tung. Gera­de der neue Lock­down ist für vie­le schwer zu ver­ar­bei­ten. Die meis­ten Hob­bys fal­len weg, es gibt kaum bis gar kei­ne sozia­len Kon­tak­te. Was bleibt, ist die Schu­le. Vor­han­den in einem For­mat, das stän­dig Eigen­ver­ant­wor­tung und Moti­va­ti­on erfor­dert, durch knap­pe Fris­ten Druck auf­baut und kei­ne kla­re Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Schu­le und Frei­zeit bietet. 

Wenn ein­mal der Anschluss ver­lo­ren ist, ist die Abwärts­spi­ra­le unaus­weich­lich. Um den neue­ren Schul­stoff zu ver­ste­hen, muss das Ver­säum­te nach­ge­holt wer­den. Dadurch bleibt der neue Stoff unwei­ger­lich lie­gen. Der ein­zi­ge Aus­gleich zu der gan­zen Schu­le ist, häu­fig spa­zie­ren zu gehen. So lan­ge, wie wir uns jetzt schon im Lock­down befin­den, kenn ich mei­ne gesam­te Nach­bar­schaft im Radi­us von drei Kilo­me­tern aus­wen­dig. Spa­zie­ren gehen – was ein tol­les Hobby.

Die armen Jugendlichen!

Das alles scheint lang­sam auch in die höhe­ren Schich­ten durch­ge­drun­gen zu sein. Plötz­lich heißt es: „Oh nein, unse­re armen Kin­der und Jugend­li­chen. Wie schlecht es ihnen doch gehen muss. Wir müs­sen unbe­dingt etwas ändern.“ 

Inter­es­sant, wie jah­re­lang die Schu­len ver­nach­läs­sigt wer­den, sich trotz kon­se­quen­ter Beschwer­den über das Schul­sys­tem nichts ändert, aber jetzt plötz­lich die Kin­der und Jugend­li­chem wich­tig sind. Grund­sätz­lich ist es eine gute Sache, dass unse­re Alters­grup­pe an Sicht­bar­keit gewinnt. Die Schluss­fol­ge­rung gru­selt mich jedoch. 

Logisch wäre es gewe­sen, zu ver­su­chen, das Home­schoo­ling schüler*innenfreundlicher zu gestal­ten. Also zum Bei­spiel bis auf Wei­te­res kei­ne Arbei­ten oder Klau­su­ren schrei­ben zu müs­sen, län­ge­re Abga­be­firs­ten für Auf­ga­ben ein­ge­räumt zu bekom­men und kei­ne münd­li­che Bewer­tung für die Betei­li­gung an Video­kon­fe­ren­zen zu fürch­ten. Kurz gesagt, den Noten­druck mög­lichst weit zu entschärfen. 

Es soll­te vor allem um den Erwerb neu­en Wis­sens gehen. Dass die The­men gut ver­stan­den wer­den, ist näm­lich als die Basis für kom­pli­zier­te­ren Stoff in höhe­ren Klas­sen­stu­fen. Doch anstel­le die Situa­ti­on weni­ger stres­sig zu machen, wur­de das Stress­le­vel sogar noch wei­ter erhöht.

Wir rennen mitten ins brennende Haus

Corona-Schnelltest
Dank des Hygie­ne­kon­zepts: Zwei Mal wöchent­lich nie­sen sich alle gegen­sei­tig an.

Wir öff­nen die Schu­len im Hybrid­mo­del oder auch Wech­sel­un­ter­richt, die­se Ent­schei­dung ist zu einer Zeit, in der das Imp­fen nur schlep­pend vor­an geht und Lehr­kräf­te noch nicht ein­mal in naher Zukunft im Impf­plan berück­sich­tigt sind, äußerst frag­lich. Abge­se­hen davon wird die drit­te Wel­le vor­her­ge­sagt, unter ande­rem auf­grund der weit­aus anste­cken­de­ren bri­ti­schen Vari­an­te B1.17. Das RKI rech­net nach Ostern mit Inzi­den­zen zwi­schen 200 und 500. Trotz­dem gab es aus der Poli­tik den gro­ßen Wunsch nach Locke­rung und vor allem auch nach der Öff­nung der Schu­len. Wer auch immer sich das Kon­zept des Hybrid­un­ter­richts aus­ge­dacht hat, scheint aber auch nicht ganz so viel Ahnung von dem Schul­all­tag zu haben.

Morgens Stress, nachmittags auch

Das Prin­zip basiert dar­auf, die Klas­sen bzw. Kur­se in zwei Grup­pen zu unter­tei­len. Der einen Hälf­te wird dann Prä­senz­un­ter­richt erteilt und die ande­re Hälf­te lernt wei­ter im Home­schoo­ling. Gewech­selt wird bei der Sekundr­stu­fe I mitt­ler­wei­le täg­lich, die Sekun­dar­stu­fe II wech­selt sich auf­grund der Leis­tungs­kur­se halb­tags ab. 

Hybrid­un­ter­richt gehört in den Müll und nicht in die Schule!

Ame­lie Zie­barth, Redak­teu­rin der Herderzeitung

Im Gegen­satz zu dem völ­lig selbst­struk­tu­rier­ten Home­schoo­ling bedeu­tet das, dass vor oder nach dem Prä­senz­un­ter­richt noch zusätz­lich die rest­li­chen Auf­ga­ben erle­digt wer­den müs­sen oder gar wei­te­re Video­kon­fe­ren­zen anste­hen. Durch den Schul­weg oder auch ein­fach Erschöp­fung nach der Schu­le geht viel wert­vol­le Zeit ver­lo­ren. Nicht zu ver­ges­sen, was die Situa­ti­on unse­ren Lehr­kräf­ten abver­langt, die mit zer­stü­ckel­tem Stun­den­plan hin und her sprin­gen zwi­schen Prä­senz, Auf­ga­ben und Video­kon­fe­ren­zen und dabei dop­pelt so viel wie sonst vor­be­rei­ten müs­sen. Von Stress­mi­ni­mie­rung kann da nicht die Rede sein. Hybrid­un­ter­richt gehört in den Müll und nicht in die Schule!

Ausnahmen zerstören die Regel

Außer­dem schei­nen man­che Tei­le des Sys­tems nicht ganz aus­ge­reift und vor allem die Ent­schei­dun­gen, die die Sekun­dar­stu­fe II betref­fen sehr will­kür­lich. Einer­seits gibt es zwei streng getrenn­te Grup­pen, aber ande­rer­seits haben alle zusam­men die Leis­tungs­kur­se. Kur­se, die zeit­lich nah am Wech­sel­zeit­punkt lie­gen und unter 17 Per­so­nen umfas­sen, dür­fen doch in Klas­sen­stär­ke statt­fin­den, was das Gesund­heits­kon­zept kom­plett über den Hau­fen wirft. Zwei Wochen vor den Oster­fe­ri­en und in der Klau­sur­pha­se über­haupt noch die Schu­len zu öff­nen, klingt gene­rell nicht ganz so sinnvoll.

Die Hoffnung stirbt zuletzt…

Es ist für alle eine selt­sa­me und schwe­re Situa­ti­on, die meist schwer ein­zu­schät­zen ist. Ich habe kei­nen welt­ver­bes­sern­den Vor­schlag, doch trotz­dem weiß ich, dass die­ser Weg nicht der Rich­ti­ge sein kann. Mitt­ler­wei­le ist das Ein­zi­ge, was man wirk­lich noch tun kann, hof­fen. Hof­fen, dass die Zah­len wei­ter sin­ken, dass das Virus durch kon­se­quen­tes Imp­fen besiegt wer­den kann. Hof­fen, dass alles wie­der gut wird. Hof­fen, dass die Klau­sur bestan­den ist.

Wäh­rend wir stän­dig von Pro­ble­men kla­gen, ist das Distanz­ler­nen anders­wo ganz nor­mal.

Bild: Okrasiuk/Twenty20
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