Eine Testung gegen Corona über das Internet erscheint in der Theorie pragmatisch und zeitsparend. Die Idee öffnet jedoch auch Türen für Gäste, die nicht unbedingt willkommen sind.
Ein Selbstexperiment von Simon Rösler und Tobias Westphal
In der heutigen Zeit ist der Zutritt zu vielen Bereichen des öffentlichen Lebens der geimpften, getesteten und genesenen Bevölkerung vorbehalten. Für Impfgegner*innen ist ein Negativbescheid nach wie vor ein Freifahrtschein, dessen Fälschung nur schwer nachzuweisen ist und auf Grund seiner kurzen Gültigkeit nur selten verfolgt wird. Dabei braucht es weitaus weniger Wissen und kriminelle Energie, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Zwielichtige Online-Dienste machen es Verweigerer*innen der Corona-Maßnahmen erschreckend einfach, ein gefälschtes Testzertifikat vorzuweisen.
Ich bin wirklich negativ, ganz sicher
Wir haben den Selbsttest gewagt und die Webseite von Dr. Ansay angesteuert. Unter Angabe eines Namens und einer Wohnadresse, die auf dem Zertifikat angezeigt wird, einer E‑Mail-Adresse zur Zusendung der PDF-Datei und einer Telefonnummer, die aber nicht geprüft wird, gelang es uns in Sekundenschnelle, ein legitim anmutendes Negativ-Zertifikat ausgestellt zu bekommen. Zuvor mussten wir bestätigen, über die korrekte Durchführung eines Selbsttests Bescheid zu wissen, ein negatives Ergebnis erzielt zu haben und symptomfrei zu sein. Eine Überprüfung unserer Angaben erfolgte in keinster Weise, obwohl das Hochladen eines Fotos der Testkassette schon viel hätte bewirken können. Nach nicht einmal fünf Minuten hatten wir das von einem Berliner Privatarzt unterschriebene Zertifikat in unserem Posteingang.
Zwar weist ein Informationstext unter dem Testergebnis prinzipiell darauf hin, dass das Zertifikat nur in Verbindung mit der Original-Testkassette mit eingeritztem Datum und den Initialen und einem Foto der Kassette vor und nach der Testung gültig sei. Angesichts der Tatsache, dass oftmals nicht einmal die Einsicht eines Personalausweises bei der 3G-Kontrolle eingefordert wird, scheint diese Maßnahme aber völlig aus der Welt gegriffen.
Und selbst wenn eine Prüfung der Testkassette erfolgt, ist eine Fälschung nach wie vor eine Leichtigkeit. Mit einem roten Stift setzten wir einen dünnen roten Strich auf eine ungenutzte Testkassette und simulierten somit ein möglichst realistisches Testergebnis unserer Wahl. In unserem Test genügte dazu ein handelsüblicher CD-Marker mit dünner Spitze, der dem Rotton des Teststreifens überraschend nahe kommt. Mit ein wenig Übung gelingt es, einen täuschend echten Kontroll-Strich einzuzeichnen, der die korrekte Durchführung zu belegen scheint. Beim gehetzten Einlass vor Veranstaltungen und Geschäften dürfte das kaum auffallen.
Dr. Ansay: Der Arzt Ihres Vertrauens
Mit einer selbst durchgeführten Umfrage intendiert Dr. Ansay, die geringen Missbrauchszahlen seiner Webseite zu belegen. Demnach hätten nur zwei Prozent der Nutzer*innen ein falsches Testergebnis bescheinigen lassen. Schon nach einem oberflächlichen Blick auf die Twitter-Follower der Plattform wird aber offensichtlich, wer wirklich sich hinter der Kundschaft versteckt und wie vertrauenswürdig seine Ergebnisse sind: Das sind Querdenker*innen, Corona-Verharmloser*innen und „Kämpfer für Freiheit und Recht”.
Die Prävention von Missbrauch sieht Dr. Ansay gar nicht als seine Aufgabe und unternimmt nicht einmal geringste Versuchungen, offenkundigen Betrug zu verhindern. Vielmehr erklärt er auf seiner Webseite: „Letztlich ist der Arzt auch kein Detektiv oder Polizist.” Dass die gesetzliche geforderte Überwachung des Tests nicht einer Beaufsichtigung gleichkommt, erklärt der Anbieter plakativ und bedient sich einer Alarmanlage als Vergleich.
Selbstsignierte Anwaltsschreiben und Selbstzweifel
Die als folgerichtig dargestellte Legitimation in Form eines umfangreichen Rechtsgutachtens erscheint bei genauerem Lesen fadenscheinig. Auch Agitation gegen die Politik im Allgemeinen, verschiedene Firmennamen und Rechtsformen in bereitgestellten Dokumenten und im Impressum, regelmäßige Umfirmierungen und eine Reihe von sprachlichen Unsauberkeiten deuten darauf hin, dass die Existenz der FIND MY DOCTOR (Private) Limited mit Sitz in Pakistan mehr als fragwürdig ist.
Dr. jur. Can Ansay selbst tritt dabei gar nicht als Arzt auf, auch wenn sein Doktortitel zuerst diesen Anschein erweckt, sondern ist erfahrener Jurist und Investor. Viele der auf seiner Webseite ausführlich beworbenen Anwaltsschreiben hat er selbst verfasst.
Inmitten unseriöser Behauptungen findet sich plötzlich der folgende Erklärungsversuch: „Offenbar wissen die Politik-Versager, was das Richtige ist, sind aber gelähmt, bestochen oder verblendet.” Die Jurist*innen des Bundesgesundheitsministeriums hätten der Firma ihre Unterstützung zugesagt und seien durch Jens Spahn persönlich daran gehindert worden, die Online-Tests flächendeckend als gängige Möglichkeit des Nachweises zu akzeptieren. Beweismaterial wird für diese Behauptung nicht zur Verfügung gestellt.
Wenngleich das Unternehmen mit Blick auf die Legalität der angebotenen Dienstleistungen insgesamt sehr selbstsicher auftritt, findet man in kleiner Schrift am unteren Ende der FAQ-Seite Sätze, die auf das genaue Gegenteil mehr als eindeutig hinweisen. So sollten Nutzer*innen im besten Fall vorher im Restaurant oder Kino nachfragen, ob das Online-Zertifikat akzeptiert wird, ohne Dr. Ansay zu erwähnen. Es wird empfohlen, dabei möglichst unauffällig die Akzeptanz auszutesten und anfangs ein zweites, von einem Testzentrum ausgestelltes Zertifikat für den Fall der Fälle bereitzuhalten.
In schlechter Gesellschaft
Auch Werbung für eine Kanzlei, die in den vergangenen Monaten gegen Einschränkungen aufgrund der Festlegungen im Infektionsschutzgesetz und der anhaltenden Pandemielage gekämpft hat, bleibt nicht aus. Zufällig ist es genau diese Kanzlei, die dem Anbieter das genannte Rechtsgutachten ausstellte.
Ebenfalls findet sich dort eine Petition gegen die 2G-Regeln, die sich als Massen-Mail an insgesamt 99 Politiker*innen aus Deutschland und Österreich entpuppt; darunter hochrangige Landespolitiker*innen, die Parteispitzen und Mitarbeiter*innen des Bundesgesundheitsministeriums und Bundespresseamtes. Die Empfänger*innen sind standardmäßig versteckt und können untereinander nicht die anderen sehen, was den Anschein einer persönlichen Adressierung erweckt. Der Text der vorbereiteten Nachricht macht deutlich, dass Dr. Ansay offenkundig mit Gegner*innen der Corona-Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung sympathisiert. In einzelnen Dokumenten propagiert er indirekt gegen die Corona-Schutzimpfung.
Es geht auch anders
Doch die telemedizinische Begleitung einer Antigen-Testung mittels Nasen- oder Rachenabstrich kann auch verlässlich erfolgen und damit einem Point-of-Care-Test im Testzentrum oder bei Arbeitgeber*innen gleichkommen.
Besser macht es etwa das Berliner Pilotprojekt homeDX, das vom Berliner Senat und der Industrie- und Handelskammer Berlin unterstützt wird. Im Gegensatz zu Dr. Ansay verlangt der Anbieter die Aufzeichnung der gesamten Testung, mitsamt Auspacken und 15 Minuten Wartezeit. Ein Testzertifikat wird erst nach der vollständigen Prüfung des Videos ausgestellt.
Zum Wohle der Gemeinen
Kreative Ideen im Kampf gegen die Pandemie sind willkommen und werden auch vom Gesundheitsministerium mit offenen Armen empfangen. Wer jedoch die Gefahr des Virus ausnutzt, um lukrative Geschäfte zu betreiben, auf kriminelle Art und Weise rechtliche Regelungen zu umgehen und dabei Menschen mit Sorgen zu instrumentalisieren versucht, der*die tut der Gemeinschaft wahrlich keinen Dienst. Die Idee des Online-Tests bringt Potenzial mit sich, die effiziente Grundidee wird von unseriösen Anbieter*innen jedoch ins Lächerliche gezogen. Sie schaffen mit ihren Websiten keinen lösungsorientierten Ersatz zum Schlangestehen im Testzentrum, sondern eröffnen vielmehr eine Lücke, in die Impfgegner*innen und Verschwörungsideolog*innen entfliehen können. Am Ende gibt das Angebot nicht nur Raum für Kriminalität, sondern erschwert auch den gesellschaftlichen Kraftakt der Pandemiebekämpfung im Großen.