Nicht erst seit der Explosion herrschen im Libanon kritische Zustände. Ein Porträt des asiatischen Staats.
Die kritischen Zustände im Libanon sind vielen erst seit den zahlreichen Medienberichten über die Explosion in seiner Hauptstadt Beirut bekannt. Doch abgesehen von der dortigen Zerstörung bedrohen noch viele weitere politische und soziale Probleme das Leben der Menschen dort, die mehr Aufmerksamkeit bekommen müssen.
Ein Leben in Armut – führen zumindest die meisten
Der ursprünglich einmal sehr finanzkräftige Staat ist durch die Wirtschaftskrise und die jetzige Pandemie in die Armut gerutscht. Im Jahr 2018 lebte ein Viertel der Bevölkerung in Armut, darunter vor allem die aufgenommenen Flüchtlinge aus Syrien und Israel infolge des Krieges im letzten Jahrhundert. Das entspricht rund 1,5 Millionen Menschen.
Durch die große Zahl an aufgenommenen Geflüchteten und dem Mangel an Ressourcen ist der Drang zum Überleben gestiegen. Die sieben reichsten Einwohner*innen haben zusammen ein Vermögen, das 11 Milliarden Euro umfasst. Damit besitzen Sie rund 70 Prozent des ganzen Reichtums des Landes.
Diese Zahlen zeigen anschaulich, dass das Land im Mittleren Osten zu einem der mit der größten Spaltung zwischen Reich und Arm, dem am ungerechtesten und ungleichmäßigsten verteilten Vermögen, geworden ist. Es herrscht Korruption, der Missbrauch bestimmter Vertrauensstellungen. Politiker*innen, welche ein wohlverdienendes Leben genießen, beraubten die Bewohner und nutzten sie für ihr eigenes Wohl aus. So ist der Strom mehrmals jährlich für einige Stunden am Tag ausgeschaltet, damit die Bewohner*innen gezwungen sind, weitere Zahlungen zu tätigen. Zugleich sorgen die politisch Verantwortlichen bis heute nicht dafür, dass Abfall richtig entsorgt wird und gefährdet so immer mehr Menschen.
Bei der Explosion hört es nicht auf
Das Land hat schon vieles durchstehen müssen: Krisen, Kriege und Katastrophen aller Art sind im Libanon alltäglich. Doch was am 4. August dieses Jahres passiert ist, damit hat niemand gerechnet. Der komplette Hafen der Stadt und auch große Teile der angrenzen Gebiete wurden ausgelöscht. Es gab zahllose Verletzte, Tote und auch Obdachlose. Zahlreiche Freiwillige sind nun im Wiederaufbau engagiert, eine Reaktion der Regierung gab es bis heute nicht. Auch die Suche nach Vermissten und das Organisieren der Spenden wurden von den Bürgern*innen geleitet. Verhaftet wurden nicht etwa die für das Unglück Verantwortlichen, sondern beliebige Hafenarbeiter*innen.
Aufgewühlte Lage
Das Volk ist wütend. Schon vorher häuften sich die Demonstrationen. Viele Fragen, was es lohne, den Staat wiederaufzubauen, wenn keine Perspektive in Sicht ist. Sie sind sich einig, das Problem kann erst gelöst werden, wenn man es an den Wurzeln packt. Erstmalig in der Geschichte Libanons wurden die Forderungen erhört und die Regierung um Ministerpräsident Hassan Diab trat zurück. Die Bildung einer neuen Regierung steht allerdings bis heute aus, es fehlen Verantwortliche.